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[REZENSION] Marion, Isaac – Mein fahler Freund

Isaac Marion
Mein fahler Freund
Verlag: Klett-Cotta
298 Seiten, Klappenbroschur
ISBN-10: 3608939148
ISBN-13: 978-3608939149

Das ist die Ironie, wenn man ein Zombie ist:
Alles ist komisch, aber man hat nichts zu lachen, weil einem die Lippen verrottet sind.

Inhalt: 
… es ist eine Scheißwelt und Scheiße passiert, aber wir müssen ja nicht in Scheiße baden: Nach einer Seuche steht die Welt am Abgrund. Ein Großteil der Menschheit ist in Folge dieser Epidemie zu Zombies mutiert. Die beiden Gruppen haben sich in Horden zusammengerottet und bevölkern alte Stadien und Flughäfen wie Ghettos. Die Menschen lernen bereits in Kindesalter Waffen zu führen, um sich gegen die Zombies zu wehren, die als Kollektiv ausziehen, um sich Nahrung zu beschaffen. Sie essen die Menschen, bevorzugt deren Gehirn, denn im Moment des Verspeisens durchleben sie die Erinnerung ihres Opfers und fühlen für wenige kostbare Sekunden wie es war ein Mensch zu sein. Auf einem dieser Raubzüge verspeist der Zombie R das Gehirn von Julies Freund und verliebt sich daraufhin in sie, und damit beginnt die außergewöhnlichste und poetischste Liebesgeschichte seit Harold und Maude.
Eigene Meinung:
Dieses Buch hat mich überrascht! Nach einem sehr langsamen – und teilweise auch recht ekligem – Einstieg war ich kurz davor es abzubrechen und habe ihm aber eine Chance gegeben, weil es “nur” 300 Seiten hatte und ich bereits so viele positive Stimmen dazu gelesen hatte, nicht zuletzt werden auf dem Schutzumschlag begeisterte Stimmen mehrerer Bestsellerautoren zitiert. Mein Durchhaltevermögen wurde mit einer Geschichte belohnt, die von Seite zu Seite interessanter wurde und zuguterletzt entwickelte sie sich zu einer romantischen Liebesgeschichte, die eine zauberhafte Botschaft vermittelt!
Anfangs ging mir dieses gemächliche Erzähltempo, bei dem man die Zombies vor dem inneren Auge schlurfend durch die Gegend ziehen sieht, die dabei “Hirn, Hirn” brabbeln, wirklich auf den Keks. Stellenweise fand ich dieses Tempo sogar dermaßen öde, dass ich in Versuchung war einige Seiten nur zu überfliegen. Die poetische und wirklich wunderbare Sprache war dabei – so Leid es mir tut das sagen zu müssen – eine wunderbare Einschlafhilfe. Doch langsam nahm die zerstörte dystopische Welt Gestalt vor meinen Augen an und der geniale Sprachwitz und der staubtrockene Humor Isaac Marions trugen das übrige dazu bei, dass ich bei der Geschichte am Ball blieb und langsam von ihr gefangen genommen wurde.
Die Distanz zu Anfang des Romans wird nicht nur von dem gemächlichen Tempo geschaffen, sondern vor allen Dingen dadurch, dass man zu der zerstörten Welt noch kein Bild vor Augen hat, der Autor hält seine Leser lange Zeit auf Distanz und gibt keine Anhaltspunkte, warum sich die Welt auf diese Weise entwickelt hat. Obwohl – oder gerade weil – R als Ich-Erzähler fungiert, hat man keinen Charakter mit dem man sich identifizieren kann. R hat wie auch alle anderen Zombies seine Persönlichkeit und seine Erinnerung verloren, deshalb trägt er keinen Namen mehr, sondern nennt sich einfach “R”, ja, mit diesem Buchstaben könnte sein Namen begonnen haben. Seltsamerweise erinnert er sich aber noch sehr gut an die Musik, die er als Mensch gehört hat und besitzt immer noch seine Plattensammlung. Im Nachhinein, nachdem ich die Botschaft des Buches erfasst habe, denke ich aber, dass er die Erinnerung an Musik im Herzen bewahrt hat, weil es eine große Liebe von ihm war. Das Buch ist mit vielen Beatles-Zitaten gespickt, die nicht einfach zusammenhanglos eingestreut sind, sondern im Erzählfluss der Geschichte oft als Wortspiel eingeflochten sind. Hier muss ich ein Extralob an die Übersetzung von Daniel Sundermann anbringen, der den Wortwitz ohne Verluste ins Deutsche übersetzt hat.
Die Zombies sind keine einzelnen Individuen, sie sind wie ein Kollektiv, eine willenlose Masse, die nur von ihrem Drang Nahrung aufzunehmen, gesteuert werden, und das ist ihr Tagesablauf: auf Raubzug gehen und Menschen essen! Alles andere, wie heiraten, Kinder adoptieren und unterrichten, scheint nur noch ein Schattenbild ihres ehemaligen Lebens zu sein, und man hat beim Lesen das Gefühl, dass diese Rituale nur durchgeführt werden, in Erinnerung an das was einmal war ohne dabei irgendetwas zu fühlen. Neben den oberflächlichen blassen Charakteren, die eine Identifikation regelrecht verhindern, hat mich der Anfang auch vor Ekel manchmal zögern lassen weiter zu lesen. Angefressene Körper, austretende Wundflüssigkeiten und pimpernde Zombies sind nun mal alles andere als appetitlich ;) Nachdem R Julie begegnet tritt jedoch langsam eine Veränderung mit ihm ein. Doch nicht nur er und noch weitere Zombies sind von Veränderungen betroffen, auch die überlebenden Menschen werden gezwungen, ihr Dasein zu überdenken. Warum überleben, nur um des Überlebens willen? Warum Leben, wenn nichts mehr existiert, wofür es sich zu leben lohnt? Das Ende verrät endlich das große Rätsel, wie es zu der Seuche und dem Untergang unserer Welt kam und für mich war es damit die schönste und romantischste Liebeserklärung an das Leben, die ich seit langem gelesen habe. Aber ich will hier nicht zu viel verraten, lest selbst! Oder, wer sich durch den trägen Einstieg in die Geschichte abschrecken lässt, sollte zumindest nicht die Verfilmung von “Mein fahler Freund” verpassen, die Filmrechte wurden sofort nach Erscheinen verkauft. Nachdem ich den Roman beendet habe, verstehe ich warum!
Aufmachung des Buches:
Drei Bestsellerautoren sind mit ihren begeisterten Lesestimmen auf dem Schutzumschlag zitiert, normalerweise lässt mich so was vor einem Buch zurückschrecken, aber in diesem Fall hat die bunte Mischung von Autoren aus verschiedenen Genres (Stephenie Meyer, Audrey Niffenegger und Josh Bazell) meine Neugierde geweckt ;)
Das Buch ist in die drei Abschnitte – Wollen – Kriegen – Leben – unterteilt, wobei “Leben” im Prinzip den Epilog darstellt.
Passend zum Zombie-Thema sind eingangs der Kapitel Körperteile skizziert – yummi ;)
Fazit:
Eine poetische und witzige Liebeserklärung an das Leben!

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4 thoughts on “[REZENSION] Marion, Isaac – Mein fahler Freund

  1. Du hast es mit deiner Rezension tatsächlich geschafft, dass ich mir nun doch überlege, das Buch zu lesen, trotz lahmer Gehirne, austretender Wundflüssigkeiten und ähnlichem… :c)

  2. Eigentlich ja nicht so mein Ding, aber das hier klingt man interessant, danke für die ausführliche Rezi! Ich werde mir das Buch vormerken, …

  3. Mittlerweile habe ich auch einige Stimmen gelesen, die schreiben, für sie wäre das Rätsel am Schluss nicht gelöst worden, was es mit der Seuche auf sich hatte, aber für mich war es sooo klar! Falls einer von euch beiden das Buch tatsächlich lesen sollte, bin ich gespannt, ob ihr 1. über die ersten 100 einschläfernden Seiten herauskommt *g* und 2. was in euren Augen der Grund für die Seuche war.
    LG und einen schönen Sonntag!

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