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[REZENSION] Das Nest

Redakteur: Anette Leister

Titel: Das Nest (OT: The Nest)
Autor: Kenneth Oppel
Illustrator: Jon Klassen
Übersetzer: Jessica Komika, Sandra Knuffinke
Verlag: Dressler
Reihe: -/-
empfohlenes Lesealter: ab 12 Jahren
Ausführung: Hardcover, 217 Seiten


Autor:
Kenneth Oppel, geb. 1967, gilt als literarisches Phänomen. Von Roald Dahl ermutigt, veröffentlichte er sein erstes Kinderbuch mit 14 Jahren. Inzwischen hat er zahlreiche Romane und Drehbücher verfasst. Heute lebt er mit seiner Familie in Toronto. Bei Beltz & Gelberg ist seine weltweit erfolgreiche Fledermaus-Trilogie mit den Bänden Silberflügel, Sonnenflügel und Feuerflügel erschienen sowie die Bücher Nachtflügel, Wolkenpanther und Wolkenpiraten.

Illustrator:
Jon Klassen stammt aus Ontario, Kanada. »Wo ist mein Hut« wurde bereits in siebzehn Sprachen übersetzt und gewann 2013 den deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis. Mit dem Bilderbuch »Das ist nicht mein Hut« gewann Klassen ebenfalls in 2013 die Caldecott-Medal, die wichtigste Auszeichnung für Bilderbücher in den USA. Jon Klassen lebt in Los Angeles und tüftelt dort an seinen neuesten Geniestreichen.

DAS NEST

Bevor ich mit meiner Rezension beginne, eine Bemerkung vorweg zum empfohlenen Lesealter: ich habe mit der Einordnung ab 12 Jahren schon höher gegriffen als der Verlag das Buch einordnet und bin mir selbst damit unsicher… “Das Nest” ist wohl auf Grund anderer Werke Oppels und der Illustrationen Klassens in Bilderbüchern in die Kategorie Kinderbuch gerutscht. Die Erzählung sowie die Illustrationen sind beinahe durchweg düster und zeichnen sich durch einen subtilen Horror aus, so dass ich fast dazu geneigt bin, das Buch erst für Leser ab 14 Jahren zu empfehlen!

Steves Familie besteht aus 5 Personen, Mama und Papa, Steve und Nicole, und das Baby, das auf Grund eines Gendeffekts und noch einigen anderen Krankheiten ums Überleben kämpft.
Kapitellang ist es nur das Baby… dann wird es er… bis wir das Wesen endlich unter seinem Namen Theo kennenlernen, als wollte Steve so gut es geht vermeiden eine Bindung zu seinem Geschwisterchen aufzubauen.

Mit dem Baby stimmt etwas nicht, aber keiner konnte sagen, was es war. Wir nicht, und die Ärzte auch nicht. Nach einer Woche durften Mom und Dad es mit nach Hause nehmen, aber sie mussten fast jeden Tag wegen irgendwelcher Untersuchungen ins Krankenhaus. Wenn sie danach zurückkamen, gab es immer ein paar neue  Informationen, immer neue Theorien. (S.11)

In einer Nacht schleicht sich eine Wespe in Steves Träume ein und macht ihm ein Angebot, dass sie einen perfekten Theo ausbrüten können, der dann gegen das falsche, kranke Baby ausgetauscht wird. Letzten Endes darf Theos Platz natürlich nur von einem Baby eingenommen werden. Steve muss dem Handel nur zustimmen und schon machen sich die Wespen an die Arbeit.

Doch schon bald macht sich Steve erhebliche Vorwürfe, ob sein Baby auf Grund seiner Erkrankungen weniger wert ist, als der perfekte Theo, der im Wespenbau nach und nach Form annimmt. Kann er seinen Eltern einen Austausch zumuten? Darf er das kranke Baby aufgeben? Ist es nicht sogar eine Form der Diktatur, der Euthanasie, wenn ich mich bewusst für oder gegen ein Wesen entscheide, sie auf Grund von Defiziten im Aussehen oder einer möglicherweise eingeschränkten geistigen Leistung verurteile? Die Zweifel drängen sich in den Kopf des Lesers, was darf erlaubt sein, was nicht… Noch spannender wird das Thema, wenn man bedenkt, dass auch Kenneth Oppel ein Kind mit Handicap hat. Hat er in den Zeiten der Schwangerschaft seiner Frau oder den ersten Monaten mit dem Säugling ähnliche Alpträume über sich ergehen lassen müssen?
Nicht alles in “Das Nest” ist real oder mit gesundem Menschenverstand zu erklären, aber auch nicht alles ist Traum. Die Traumwespen aus Steves Schlaf greifen in Steves reales Leben ein, zudem wissen sie Dinge über ihn, die keiner wissen kann. Neben den Wespen gibt es noch einen Herr Niemand, ebenfalls ein Grenzgänger zwischen realen und geträumten Welten. Diese Zwischenwelten verbreiten Angst, ganz besonders, da der Verlag eine Ausstattung gefunden hat, die dieses bedrohliche Gefühl noch anschürt. Immer eine Wespe mehr zählen die Kapitel durch. Die Bilder von Jon Klassen wirken melancholisch, düster und traurig, manche verbreiten sogar leichte Angst beim längeren Betrachten.

Ich konnte der Geschichte die Lehre mitnehmen, dass man sich bis zuletzt an die Hoffnung klammern muss und das nichts auf die äußeren Werte gegeben werden sollte. Schöne Gesichter, schöne Kinder, schöne Haustiere… das sind Statussymbole, aber sicher nicht die Familien, in denen die größte Liebe gelebt wird. Liebe sollte nicht an Vergänglichkeiten geknüpft werden.

Das Ende des Buches ist sanft, familiär, ehrlich – der Weg dorthin beängstigend, erschreckend und albtraumhaft. Auch wenn am Ende des Tunnels das Licht wartet, sollten Eltern das Buch vorab lesen, wenn sie es tatsächlich jüngeren Lesern ab 10 (ich fühle mich sicherer mit 12) Jahren geben möchten, denn neben surrealen Komponenten behandelt die Geschichte auch reale Kinderängste.

Bereits in der Fledermaus-Trilogie und der Wolkenreiter-Trilogie von Oppel gab es immer wieder harte und brutale Szenen, “Das Nest” berührt in dieser Hinsicht weit mehr, weil diese Art der Geschichte realer ist als eine Tierfantasy- oder eine Steampunktrilogie. Zudem sollte man eine Vorliebe für Surrealität mitbringen, um “Das Nest” vollends genießen zu können, denn diese Geschichte kann und will nicht Stein um Stein oder Wabe um Wabe logisch erklärt werden.

Und nun hoffe ich, mich noch von ganz vielen weiteren Werken Kenneth Oppels überraschen lassen zu dürfen, denn keiner schreibt so vielfältig, genreübergreifend und dabei noch so genial gut wie er!

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