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[REZENSION] Unland

Redakteur: Anette Leister (21.04.2015)

Titel: Unland
Autor: Antje Wagner
Verlag: Beltz
Reihe: -/-
Ausführung: Taschenbuch, 381 Seiten
empfohlenes Lesealter: 13-16 Jahre


Autor:
Antje Wagner, geboren 1974, studierte deutsche und amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften und lebt in Potsdam. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung nahm sie 2012 in den Kanon der 20 besten deutschsprachigen Schriftsteller unter 40 Jahren auf. Bislang erschienen u.a. ihre Romane “Unland” (ver.di Literaturpreis 2010, Prädikat “Beste 7 Bücher für junge Leser” (DeutschlandRadio/Focus)), “Schattengesicht” und “Vakuum” (u.a. ausgezeichnet mit dem Leipziger Lesekompass 2013).

UNLAND

Nachdem ich bereits “Schattengesicht” von Antje Wagner gelesen hatte, wusste ich diesesmal, worauf ich bei ihren Büchern vorbereitet sein muss: ein dramaturgischer Kniff wenige Kapitel vor Schluss gaben auch “Unland” ein Ende, mit dem ich trotz “Hab-Acht-Haltung” so nicht gerechnet hatte.

Nachdem ihre Pflegemutter aus dem Leben geschieden ist, kommt die vierzehnjährige Franka im Wohnprojekt “Haus Eulenruh”, das in dem kleinen Elbdorf Waldburgen gelegen ist, unter. Neben den schrecklichen Kindheitserlebnissen von Franka und ihren Mitbewohnern, die im Laufe der Geschichte nach und nach ans Licht kommen, ist es vor allem die düstere Atmosphäre, die Antje Wagner heraufbeschwört, und das mysteriöse “Unland”, eine düstere Ruinenlandschaft am Waldrand, die dem Leser Gänsehaut bereiten. Eine verlassene Ruinenlandschaft umgeben von einem stromgesicherten Zaun, Stromausfälle im ganzen Ort und ein Nachbar, der seit Jahren Lebensmittel sammelt, die angeblich für Bedürftige bestimmt sind. Irgendwas ist an der Geschichte faul!

Antje Wagner gelingen beachtenswert realistische Charakterstudien von Kindern, die durch schwere Schicksalsschläge an den Rande der Gesellschaft gedrängt wurden. Neben Franka zeichnet Antje Wagner auch von den anderen Einwohnern des “Haus Eulenruh” detaillierte Skizzen. Auch wenn die schweren Schicksale der Jugendlichen viel Raum einnehmen, so blitzt am Rande doch immer wieder ein trockener, jugendlicher Humor auf, der perfekt zu den agierenden Personen passt. In diesem Buch lebt alles, ich hatte beim Lesen nie das Gefühl, das irgendwelche Person oder Beschreibungen nur als “Füllmaterial” dienten. Etwas ganz Besonderes ist Antje Wagners Idee, die Handlung eines jeden Kapitels mit einem passenden Song zu untermalen, die am Ende des Buches als “Inoffizieller Soundtrack zum Buch” aufgeführt sind. Eine Geschichte, die nicht nur vor dem geistigen Auge abläuft, sondern dazu noch hörbar wird, zieht den Leser mit einem doppelt so starken Sog mitten ins Geschehen.
Der Leser wird zum Mitdenken aufgerufen. Noch bevor Antje Wagner mit dem überraschenden Ende auftrumpft, bringt sie eine beeindruckende Parabel über die menschliche Gesellschaft und die Mischkultur in einem Wald. Um von diesem Buch erschüttert und aufgewühlt zu sein, hätte ich noch nicht einmal das außergewöhnliche Ende gebraucht. Wobei ich sagen muss, dass es trotz allem das Ende ist, das mich noch Tage, nachdem ich das Buch beendet habe, beschäftigt. In gewissem Sinne fantastisch, und doch irgendwie seltsam realistisch, wird das Dunkle im Inneren der Protagonisten nach Außen gekehrt, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit sind gefallen. Ob die Jugendlichen aus “Haus Eulenruh” ihre Schatten frei lassen? Das liegt nun in der Interpretation des Lesers.

Redakteur: Christiane Demuth

Als Franka Berlin verlässt und ins „Haus Eulenruh“, einem Wohnprojekt für Jugendliche, nach Waldburgen zieht, spürt sie schnell, dass irgendetwas nicht stimmt. Nicht nur, dass die Bewohner des Dorfes die Jugendlichen meiden und für jegliche Scherereien verantwortlich machen, es ist als würde sie ständig beobachtet, doch es ist niemand auszumachen. Und was hat es mit der Ruinenlandschaft „Unland“ auf sich, die mit einem Elektrozaun gesichert ist und über die man nicht spricht?

Ann sagte: „Der T17 ist das Zeichen für Männlichkeit. Im Wilden Westen hätten sich die Jungs einen Mustang zwischen die Beine geklemmt, um zu zeigen, dass sie ‘n ganzer Kerl sind. Irgendwo anders ‘ne Harley Davidson. Aber hier in Waldburgen bist du cool, wenn du auf einen Powerline steigst.“ (S. 48)

Nicht nur Franka kommt der Ort Waldburgen, ca. 100km von Berlin entfernt, seltsam vor. Der Leser spürt die Distanz, die die Menschen zu den Bewohnern im „Haus Eulenruh“ wahren, ebenso wie eine reichlich angespannte Atmosphäre, vor allem wenn es um „Unland“ geht. Klar, dass man das Geheimnis der mysteriösen Ruinenlandschaft aufdecken will. Umso besser, dass Franka dasselbe Ziel verfolgt, so kann man zumindest hoffen, dass man auch tatsächlich erfährt was es mit dem komischen Verhalten der Menschen auf sich hat.

Zunächst aber muss Franka sich erst einmal einleben, was leichter gesagt als getan ist. Von diversen Seiten werden ihr Steine in den Weg gelegt, ein ums andere Mal tritt sie in gewaltige Fettnäpfchen, kein Wunder also, dass sie sich nicht nur einmal wünscht nie dort gelandet zu sein. Gemeinsam mit ihr lernt der Leser die anderen Bewohner des Projekts kennen, so dass man sich schon bald ein gutes Bild machen kann. Im Grunde finden einsame und verletzte Seelen im „Haus Eulenruh“ ein Zuhause. Jeder einzelne hat schreckliche Dinge erlebt, wodurch hauptsächlich das Vertrauen anderen gegenüber nachhaltig beschädigt wurde. Dennoch geben sie sich gegenseitig Halt und stehen füreinander ein.

Einen – wie mir vorkam – unendlich langen Moment war es erschreckend still, so als hätten alle um uns herum den Atem angehalten. Und dann schrie ein kleines Mädchen: „Stromausfall! Es ist Stromausfall!“ Es klang aber eher, als würde sie schreien: „Lauft! Lauft um euer Leben!“ (S. 225)

Gebannt verfolgt man das Geschehen, das mit immer mysteriöseren Vorfällen Aufsehen erregt. Nicht nur Franka ist plötzlich ganz wild darauf zu ergründen was in Waldburgen vor sich geht. Die Spannung nimmt im weiteren Verlauf stetig zu und hält den Leser gefesselt, denn auch dieser versucht sich schon seit geraumer Zeit an der Lösung des Rätsels, kommt aber zu keinem adäquaten Schluss. Mit zunehmendem Fortschritt erhellt plötzlich eine ganz bestimmte Idee das Gedankenkarussell, die man so schnell auch nicht bereit ist aufzugeben, obwohl sie ausschließlich auf Annahmen und Bauchgefühl beruht. Dennoch ist man gespannt, ob es zum Schluss noch eine ganz verzwickte Überraschung geben oder die eigene Vorstellung verifiziert werden wird.

Ein ungewöhnliches Buch legt Antje Wagner hier vor. Doch gerade auf Grund der Andersartigkeit ein Kunstwerk für sich, das nicht einfach eines von vielen ist, sondern gekonnt aus der Masse heraussticht.

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