Ally Condie
Cassia & Ky 01: Die Auswahl
Cassia & Ky 01: Die Auswahl
Verlag: Fischer
452 Seiten, Hardcover
ISBN-10: 3841421199
ISBN-13: 978-3841421197
empfohlenes Lesealter: 14-15 Jahre
empfohlenes Lesealter: 14-15 Jahre
Geh nicht gelassen in die gute Nacht,
brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert.
Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.
Dylan Thomas
Inhalt und eigene Meinung:
Cassia wächst in einer Welt auf, in der das Leben von den Gesetzen eines totalitären Systems bestimmt wird. Dieses System garantiert ein sicheres und gesundes Leben: jeder hat Arbeit, genug zu essen und bleibt bis ins hohe Alter gesund.
Durch das Scannen der Genpools wird für jeden heiratswilligen 17jährigen der passende Partner errechnet, den dieser im Alter von 21 Jahren heiraten wird. Durch die Analyse der Gene sind Krankheiten so gut wie ausgestorben und bis zum 80. Geburtstag leben die Menschen in bester Gesundheit bevor sie an diesem Tag geplant aus dem Leben scheiden.
Damit dieses System funktioniert und nicht in Frage gestellt wird, laufen die Menschen mit auferlegten Scheuklappen durch die Gegend. Es gibt nur noch jeweils 100 ausgewählte Gedichte zu lesen, Bilder zu sehen und Musikstücke zu hören. Alle tragen eine einheitliche Alltagskleidung, besondere Kleidung – auszuwählen unter 100 Modellen – ist nur zu speziellen Anlässen wie dem Paarungsbankett erlaubt. Besondere Fähigkeiten werden bereits während der Schulzeit herauskristallisiert und die Menschen werden gemäß ihren Talenten einer Arbeit zugeteilt. Kein Wunder also, dass die Menschen scheinbar glücklich sind, sie kennen es nicht anders und stellen das System nicht in Frage. Bis dem System ein folgenschwerer Fehler unterläuft…
Am Tag ihres Paarungsbanketts wird zu Cassias großer Überraschung ihr bester Freund Xander als ihr Partner bekanntgegeben. Als sie sich zu Hause den Mikrochip mit seinen Daten und den allgemeinen Verhaltensregeln ansieht, erscheint jedoch plötzlich das Gesicht eines anderen Jungen auf ihrem Computerterminal. Das System macht keine Fehler oder doch? Ist gar nicht Xander der perfekte Partner für Cassia, sondern Ky, eine Aberration, die gar nicht im Paarungspool hätte auftauchen dürfen?
Über diesen „Fehler“ darf Cassia nach Rücksprache mit einem Funktionär des Systems nur mit ihrem Großvater reden, da dieser bereits am nächsten Tag aus dem Leben scheiden muss. Ihr Großvater ist eine beeindruckende Persönlichkeit und sticht gleich zu Anfang des Buches zwischen den anderen Charakteren hervor. Er ist es auch, der in Cassia den ersten Funken der Auflehnung schürt, in dem er ihr das Geheimnis ihres Artefakts – einer Puderdose, die ihrer Großmutter gehört hat – verrät: in ihr verbirgt sich ein verbotenes Gedicht von Dylan Thomas, ein Gedicht, das zur Rebellion aufruft! Dieses Gedicht wird zum Bindeglied zwischen Cassia und Ky. Im Gegensatz zu Ky war für Cassia das System ja bislang immer gut und richtig, darf man überhaupt etwas in Frage stellen, das so gut funktioniert? Womit wir nochmal an den Anfang zurückblicken: jeder hat Arbeit, genug zu essen und bleibt bis ins hohe Alter gesund – jeder hat Arbeit, für die er gemäß seinen Fähigkeiten geeignet ist, Spaß oder Herausforderung hat an dieser Stelle nichts verloren; jeder hat genug zu essen – das Essen wird genau berechnet, hinsichtlich Nährstoffen und Kalorien, die der jeweilige Körper bracht, dadurch gibt es zwar keine unter- oder übergewichtige Personen, aber sollte Essen nicht auch Genuss sein?; jeder ist gesund bis er mit 80 Jahren geplant aus dem Leben scheidet – in dieser Welt würde ich keine 80 Jahre leben wollen!
Der erste Teil der Geschichte von Cassia und Ky zeichnet sich durch einen eigenartig kalten und sterilen Schreibstil aus, der perfekt die glatte Fassade von Cassias Welt widerspiegelt. Er hält den Leser einerseits auf Distanz, andererseits übt gerade dieses Stilmittel eine Faszination aus und zieht sogartig in die Geschichte hinein. Ich musste beim Lesen häufig an die Kulisse der Verfilmung von „Clockwork Orange“ denken, die auch diese Kälte ausstrahlt und teilweise mit minimalistischen Mitteln auskommt. Dieser Minimalismus rückt die Charaktere mit ihrer Gedanken- und Gefühlswelt in den Vordergrund. Gerade vor dem kalten Hintergrund kommen die zarten Gefühle zwischen Cassia und Ky besonders zur Geltung. Andere Klassiker aus Film und Literatur, die mir beim Lesen in den Sinn kamen, waren „Flucht ins 23. Jahrhundert“, „1984“ und „Schöne neue Welt“. Vielleicht finden ja einige Jugendliche nach der Lektüre von „Die Auswahl“ auch Zugang zu diesen Meilensteinen unter den Dystopien. Cassia macht eine Entwicklung von einem Mitglied des Kollektivs ohne eigene Gedanken zu einem Individuum durch, dass sich durch ihr Hinterfragen gegen das System stellt. Wirkte sie zu Beginn noch blass und farblos, beinahe langweilig, so gewinnt sie im Laufe der Handlung die Sympathie des Lesers.
Es gibt Dystopien, die starten direkt mit einem Paukenschlag und stehen von Beginn an im Zeichen der Revolution. Die Geschichte von Cassia und Ky startet ruhig und verhalten. Es lohnt sich aber sehr, sich auf diese Stilmittel einzulassen, auch wenn dem einen oder anderen der Zugang zur Geschichte am Anfang vielleicht schwer fallen mag.
Am Ende des Buches sieht man nicht mehr das funktionierende Kollektiv, sondern einzelne Personen und ein Paar sind daraus hervorgetreten, die es wagen das System zu hinterfragen, dass ihnen die Selbstbestimmung genommen hat. Ihre Zukunft ist ungewiss, aber gewiss ist, dass sie ihren eigenen Weg gehen werden. In die farblose Welt ist Bewegung eingekehrt. Das starre System wird unterwandert von starken Persönlichkeiten, ganz besonders durch Cassia, die nicht mehr über sich und ihr Leben bestimmen lassen wollen!
Aufmachung des Buches:
„Die Auswahl“ wird definitiv eines meiner Cover-Highlights des Jahres. Der Schutzumschlag wirkt vom Grundton genauso kalt wie Cassias Umwelt, allerdings ist das sterile eisige Weiß mit Luftblasen durchwirkt. In der größten Blase sitzt ein Mädchen in einem zartgrünen Kleid, dass vom Aussehen genau auf die Beschreibung von Cassia passt. Sie drückt mit ihren Händen zart gegen die Hülle der Blase, aber das System gibt sie nicht frei.
An jedem Kapitelanfang – die einfach nur durchnummeriert sind – steht immer die Luftblase mit der gefangenen Cassia, zwischen den einzelnen Abschnitten jedoch die Puderdose, das Zeichen für Individualität und Aufstand.
Tolle Rezension, liebe Annette!!
Jetzt denke ich doch darüber nach, ob ich das Buch nicht doch bald lese, obwohl ich ja erst mal genug von Utopien habe…
Wo du "1984" erwähnst…ich habe das Buch geliebt, als wir es in der Schule lesen mussten…es hat mich total in seinen Bann gezogen. :)
Da stecken auch ungelogen 3 Tage Schweiß dahinter :D Bücher, die mich emotional stark beeindrucken kann ich immer nur schwer bewerten, dass war richtig harte Arbeit ;) Du glaubst gar nicht, wie guuut in diesem Fall dein Lob tut!
Die erwähnten Klassiker habe ich alle gesehen bzw. gelesen, und es sind so tolle Geschichten! Ich hoffe wirklich, durch die derzeitige Dystopie-Welle werden einige Klassiker neu entdeckt.
Liebe Grüße Anette
Ich muss auch sagen: Eine super Rezension!! Danke! Ich freue mich schon sehr auf das Buch. Werde es sofort nach meinen Prüfungen lesen. Hab es mir bisher noch nicht gekauft, aus Angst nicht widerstehen zu können und dann nicht mehr zu lernen :)
Liebe Grüße,
sternschnuppenzauber