Gast-Rezension von Winterkatze
Vielen Dank für deinen Beitrag!
Richard Harland
Worldshaker, Band 1
Verlag: Jacoby & Stuart
400 Seiten, Hardcover
ISBN-10: 3941787071
ISBN-13: 978-3941787070
empfohlenes Lesealter: 13-15 Jahre
Mit „Worldshaker“ bietet Richard Harland dem Leser den Auftaktband zu einer Jugend-Steampunk-Reihe – die inzwischen auch schon mit dem Roman „Liberator“ fortgesetzt wurde. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht vor allem der junge Colbert (Col) Porpentine, der zu einer der führenden Familien auf dem Juggernaut „Worldshaker“ gehört. Col ist ein netter und aufmerksamer Junge, der sehr an seiner Großmutter hängt, mit Vergnügen lernt und brav das tut, was seine Familie von ihm erwartet. Alles in allem führt der Junge ein gutes Leben, auch wenn er kein sehr enges Verhältnis zu seinen Eltern oder seiner Schwester hat.
Doch sein Bild von einer heilen Welt wird schnell erschüttert, als eines Tages eine von den „Dreckigen“ aus den untersten Ebenen der „Worldshaker“ ausbricht und Zuflucht in Cols Zimmer sucht. Sein ganzes Leben lang wurde ihm gesagt, dass die „Dreckigen“ nicht besser als Tiere seien, dumm, primitiv und gewalttätig. Doch Riff, das Mädchen, das sich vor den Wachen unter seinem Bett versteckt hat, ist nicht nur in der Lage zu sprechen, sondern scheint auch noch außerordentlich klug zu sein. Obwohl Colbert anfangs nichts mit Riff zu tun haben will, lernen sich die beiden näher kennen, während sie sich gegenseitig beibringen, was dem anderen von Nutzen sein kann.
So beginnt Colbert damit, all die Dinge zu hinterfragen, die ihm seit seiner Kindheit so selbstverständlich waren. Auch der Unterricht in seiner neuen Schule, die ihn auf eine Zukunft in einem der höchsten Ränge auf dem Juggernaut vorbereiten soll, stellt den neuerdings so neugierigen Jungen vor immer neue Fragen und widerspricht in vielen Punkten dem, was er von seinem früheren Hauslehrer gelernt hat. Je länger Col über all diese Dinge nachdenkt, je aufmerksamer er seine Familie und seine Freunde beobachtet, desto mehr wird ihm klar, dass an Bord der „Worldshaker“ so einiges im Argen liegt.
Richard Harland hat mit dem Juggernaut ein faszinierendes und wirklich ungewöhnliches Setting für seine Geschichte geschaffen. Während auf den oberen Decks ein relativ normales „Stadtleben“ stattfindet, mit Ebenen für Handwerker, mit Schulen und Bibliotheken und ein paar wenigen Menschen, die zur Oberschicht gehören und der Königin und ihrem Gemahl zur Seite stehen, hausen auf den unteren Decks die „Dreckigen“, die für die Versorgung der Dampfkessel mit Kohle zuständig sind. Obwohl sich ohne die „Dreckigen“ das ungeheure Weltschiff des britischen Königreichs keinen Meter weit bewegen würde, werden diese von ihren Aufpassern regelmäßig gequält und mit dem minderwertigsten Essen versorgt, dass zur Verfügung steht. So ist es kein Wunder, dass Riff, die von klein auf um ihr Überleben kämpfen musste, deutlich gewitzter, stärker und flinker ist als Colbert.
Gerade aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenserfahrungen ergänzen sich Col und Riff so gut und können gemeinsam mehr erreichen, als es ihnen einzeln möglich wäre. Doch dafür müssen sie sich erst einmal anfreunden und dem anderen so weit vertrauen, dass sie überhaupt gemeinsam handeln können. Dabei beschreibt Richard Harland diese Annäherung der beiden Charaktere sehr schön. Auf beiden Seiten herrscht ein Grundmisstrauen, das immer wieder aufflackert, aber auch der Wunsch nach Wissen und nach der Wahrheit hinter all den Geschichten und Lügen. Während Riff häufig spontaner ist, als ihr gut tut, und scheinbar bedenkenlos Risiken eingeht, erscheint Col dem Leser manchmal etwas träge. Er muss jeden Schritt gut überdenken, denn mit jedem neuen kritischen Gedanken wird er mehr zum Verräter an seiner Familie und seiner Schicht. Beide Figuren werden vom Autor sehr sympathisch und glaubwürdig geschildert, und das hat mir ebenso gut gefallen wie die außergewöhnliche Umgebung und die Handlung an sich.
Ich fand es sehr spannend zu beobachten, wie Col und Riff mehr über die jeweils andere Welt lernen und wie sehr das ihr weiteres Handeln beeinflusst. Noch fesselnder fand ich es, mehr über Cols Umgebung herauszufinden, mir meine Gedanken zu seiner Familie zu machen und zu überlegen, wer für den Jungen vielleicht als Verbündeter oder als neue Wissensquelle herhalten könnte. Dabei gab es allerdings auch den einen oder anderen vorhersehbaren Punkt für mich, z. B. den Grund für die schlechte Gesundheit von Wicky Popo, einem der Diener der Familie Porpentine, oder die Ursache für das Verhalten von Gillabeth, Colberts Schwester, aber das konnte den guten Gesamteindruck bezüglich Handlung und Figurenentwicklung nicht trüben.
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings für mich bei „Worldshaker“. Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – ich es mit einem Jugendbuch zu tun habe, erwarte ich eine gut durchdachte Welt. Und so faszinierend der Juggernaut ist, so fesselnd und ungewöhnlich Richard Harlands Beschreibungen dieser ganz eigenen kleinen Welt sind, so sehr mir die Vorstellung einer „Worldshaker“ und die Grundidee gefällt – es funktioniert leider nicht! Bei jedem neuen Detail zuckte ich innerlich zusammen, weil mein Verstand mir sagte, dass das so nicht geht! Allein die Energieversorgung… Selbst wenn ich davon ausgehe, dass die Juggernaut über Wasser einen geringeren Energieverbrauch hat, ist ein Anheizen mit Kohle bei einem so riesigen „Fahrzeug“ so einfach nicht machbar.
Wenn schon eine relativ moderne Dampflokomotive für 200 km 8-10 Tonnen Kohle benötigt, welche Mengen würde dann ein fast vier Kilometer langes und gut 1 Kilometer breites „Schiff“, welches über 53 Decks verfügt, für mehrere Reisetage benötigen? Wie ihr seht, habe ich mir da so viele Gedanken gemacht, dass ich sogar angefangen habe, über Dampflokomotiven zu recherchieren. Von der Versorgung von mehr als 10.000 (oder mit den Dreckigen zusammengenommen über 12.000) Personen mit Wasser, Nahrungsmitteln und anderen Bedarfsgütern will ich gar nicht reden. Auch wenn es immer wieder heißt, dass die Vorräte an bestimmten Anlaufpunkten wieder aufgefüllt werden, so scheint das wirklich die einzige Versorgungsmöglichkeit zu sein. Es werden keine Viehhaltung, kein Gemüseanbau oder ähnliche Produktionen an Bord des Juggernaut erwähnt.
Ganz ehrlich, mir gingen beim Lesen noch viel mehr Gedanken zu diesem Thema durch den Kopf, und als ich anfing, über Lade- und Löschzeiten von Binnenschiffen zu recherchieren, habe ich über mich selbst den Kopf geschüttelt und mir gedacht, dass es nun aber gut sein sollte. Vielleicht wäre ich beim Lesen nicht so kritisch gewesen, wenn Richard Harland auf einige Details verzichtet hätte. Denn wenn niemals die Frage aufgekommen wäre, ob auf der „Worldshaker“ etwas produziert wird oder wie sich dieses Gefährt vorwärtsbewegt, dann hätte ich gar nicht erst angefangen, mir darüber Gedanken zu machen und diese Welt einfach nur hingenommen. So aber ist das schon ein Punkt, der mein Lesevergnügen etwas getrübt hat, obwohl ich ansonsten viel Spaß mit Colbert und Riff und all den gesellschaftskritischen Ansätzen in „Worldshaker“ hatte.
Reihen-Info:
1. Worldshaker
2. Liberator