Autor: Nicolas Gouny
Illustrator: Nicolas Gouny
Übersetzer: Anna Taube
Verlag: Mixtvision
Reihe: -/-
empfohlenes Lesealter: ab 3 Jahren
Ausführung: Hardcover, 40 Seiten
Nicolas Gouny lebt seit September 2008 in einem kleinen französischen Dorf, das hoch oben am Hang eines Tales liegt. Hier, inmitten von Kühen und Bäumen, widmet er sich fast ausschließlich dem Illustrieren von Büchern für junge Leser.
LEOPOLD: DER RITTER AUF DEM TAUSENDFÜSSLER
In diesem fantasievollen Märchen wimmelt es nur so von sagenhaft verrückten Figuren: der tapfere Ritter zieht hier nicht auf einem edlen Ross in die Welt die wunderschöne Prinzessin zu retten, sondern auf einem Tausendfüßler, ein stolzer spanischer Ritter ist auf einem Kampfnilpferd unterwegs, und das feuerspeiende Wesen im Wald ist nicht etwa ein gewöhnlicher Drache, sondern ein Hasendrache!
Diese drei tapferen Recken treffen also eines Tages bei einer schönen Prinzessin ein, und dort müssen sie unter Beweis stellen, wie tollkühn und abenteuerlustig sie sind. Wie es sich in einem richtigen Märchen gehört, müssen sie höchste Höhen, gefährliche Gewässer und tiefste Tiefen bezwingen, um der anspruchsvollen Schönheit ihre ausgefallenen Wünsche zu erfüllen. Nur das Ende dieses Märchens ist dann wieder ganz anders und so verrückt, wie es die Hauptfiguren aus Nicolas Gounys Feder sind.
Mit viel Fantasie und Einfallsreichtum erzählt Nicolas Gouny ein einerseits so typisches und doch untypisches Märchen. Ganz typisch ist zunächst der Verlauf bis zum überraschenden Ende, welches eine ganz andere Wende nimmt als man es normalerweise kennt. Es ist so etwas wie die Fortsetzung nach dem „… und dann lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende“. Und gänzlich untypisch sind die Figuren, die hier die Helden der Geschichte verkörpern. Der kleine Tausendfüßler ist hier ein beeindruckendes Reittier und der in anderen Geschichten eher ängstlich dargestellte Hase ist hier zwar genauso groß wie sonst auch, aber er kann fliegen und feuerspeien.
Die Illustrationen des Autors sind einerseits einfach gehalten: beispielsweise sind Baumkronen nicht mit Ästen, Zweigen und Blättern dargestellt, sondern stilisiert in Kugelform. Gedanken und Träume der Figuren kommen jedoch in einem ganz anderen Zeichenstil daher: sehr detailliert, schwarzweiß und von der Aussage eher „erwachsen“, sprich in einer Darstellung, die eher einem Sachbuch als einem Bilderbuch entstammen könnte. Zudem gibt es zwischen der Schlichtheit der großflächigen Illustrationen und Hintergründe immer wieder kleine und witzige Details auf den Bildern zu entdecken wie das Konterfei des Tausendfüßlers auf Fahne und Schild des Ritters oder den spanischen Ritter in Badehose, wenn die drei tapferen Recken den gefährlichen Zauberteich durchqueren müssen.
Die sehr kurz gehaltenen Erzähltexte von Nicolas Gouny können leider nicht ganz mit dem Charme und der Originalität seiner Illustrationen mithalten, aber dafür punktet dieses Buch noch mit einer ganz anderen Sache, die mir als Erwachsener beim ersten Blättern gar nicht aufgefallen ist. Das kleine Zielpublikum „liest“ Bücher eben aus einem gänzlich anderen Blickwinkel.
Die Illustrationen der Quests, die die drei Helden in dem Buch bestreiten müssen, sind so aufgebaut, dass sie die kleinen Leser oder Zuhörer dazu auffordern mit dem Finger dem Abenteuer zu folgen. So ist meine Tochter jedesmal dem Tausendfüßler zickzackförmig tief in die Erde gefolgt. Wenn der Ritter auf dem Tausendfüßler und sein spanischer Kollege per Schere-Stein-Papier ihren Ritterkampf ausfechten, so musste ich beim Vorlesen immer eine Pause einlegen, weil meine Tochter und ich das Spiel nachgespielt haben, und frag bloß keiner danach, wie oft wir die Füße des Tausendfüßlers nachgezählt haben…
Auch wenn der Erzähltext nicht hundertprozentig überzeugen konnte, so legt Nicolas Gouny mit „Leopold: Der Ritter auf dem Tausendfüßler“ dennoch ein sehr fantasievolles und außergewöhnliches Märchen vor, dass die kleinen Bilderbuchfans auch gerne mal allein in die Hand nehmen, da seine bunten und witzigschrägen Illustrationen sehr dazu animieren sich selbst Geschichten zu den einzelnen Bildern auszudenken – und nebenbei die Füße des Tausendfüßlers nachzuzählen, Schere-Stein-Papier zu spielen, in die Tiefen hinabzusteigen… und wenn sie nicht gestorben sind, dann… aber das witzige Ende muss man schon selbst nachlesen!