Uncategorized

[COOL-TOUR-KATZE] Interview mit Jonathan Stroud auf der Frankfurter Buchmesse 2013 (deutsch)

A: Kinder sind sehr kritische Leser. Wenn ein Kind ein Buch wirklich liebt, liest es das zwei oder drei Mal und manchmal sieht ein Kind mehr als ein
erwachsener Leser.
J: Ja, das denke ich auch. Erwachsene sind weniger…
A: … sie sind ein wenig abgestumpft.
J: Sie folgen allen anderen, wenn du also sagst „Hey…“
A: … wie ein Lemming! „Dieses Buch ist gut – oh ja! Dieses Buch ist gut!“
J: „Dieses Buch ist toll – oh ja! Lass es uns lesen.“ Aber bei einem Kind ist das anders, wenn du einem Kind ein Buch gibst und es ist gelangweilt, gibt es das Buch weg. Deshalb ist es ein guter Bereich in der Literatur, da stimme ich zu. Und es macht Spaß, weil man da schreiben kann… Ich probiere die Dinge aus, die ich selbst als 12-Jähriger geliebt hätte. Aber ich mag sie auch als Erwachsener, deshalb versuche ich, für alle etwas zu schreiben. Und mein Lesepublikum ist sehr breit gefächert, der Jüngste ist vielleicht acht, der Älteste 69 oder 79. Da gibt es kein obere Altersgrenze.
A: Und bevorzugen Sie es mehr, lustige Geschichten zu schreiben? Ich habe nämlich den Eindruck, dass in Deutschland die Bartimäus-Bücher und Lockwood mehr positives Feedback bekommen haben als „Die Eisfestung“ oder „Die Spur ins Schattenland“. Es sieht fast so aus, als wären die Leser an die Bücher gegangen mit dem Gedanken „Ich will mehr von dem lustigen und sarkastischen Stroud“ und dann „Uäääh. Das Buch war so langweilig…“
J: Ha!
A: Was halten Sie davon? Oder sagen Sie, Sie mögen beide Arten des Schreibens?
J: Nein… in gewisser Weise stimme ich mit den deutschen Lesern überein. Die genannten Bücher waren meine Erstlingswerke. Und ich denke, sie waren gute Bücher, aber sie hatten keinen Humor. Sie hatten nicht den Witz. Und dann begann ich damit, die Bartimäus-Geschichte zu schreiben, seine Stimme kam hervor und sie war sarkastisch und witzig. Und es war wie ein Feuerwerk in meinem Kopf. Ich dachte, ah, ich kann das so schreiben. Und es kann trotzdem noch ein ernsthaftes Buch mit anderen Aspekten sein. Aber dazu gibt es den Humor, den Witz. Deshalb denke ich heute, dass es sehr schwierig für mich sein würde, nicht auf
diese Art zu schreiben, ich muss immer etwas Humor darin haben. Denn Fantasy ist ein gefährliches Genre. Da kannst du schnell etwas überheblich, ein wenig selbstzufrieden werden. Alles in der Fantasy ist ein bisschen schwerfällig, Gut und Böse, es wurde mit der Zeit langweilig. Um es interessanter zu gestalten, habe ich eine humoristische Note eingebracht, dadurch wurde es bedeutend leichter.
A: Ja, ich denke, das Geisterthema ist nun eine Wende, da in den letzten zwei oder drei Jahren Dystopien sehr angesagt waren. Das war ein bisschen traurig, aber jetzt kommt Ihre witzige Geschichte, die dem fantastischen Jugendbuch eine neue Richtung gibt.
J: Das hoffe ich und das ist richtig. Jemand anderes hat mir erzählt, dass Dystopien ziemlich deprimierende Geschichten sind.
Manchmal ist sowas gut für einen… aber für mich, ich brauche etwas, das meine Stimmung hebt. Ich will gespannt sein. Ich will die Charaktere mögen. Ich will eine Verbindung spüren. Wenn die Fantasy zu magisch oder zu konstruiert wirkt, bin ich nicht besonders interessiert. Deshalb muss es noch etwas mit der realen Welt zu tun haben. Und ich denke, dass Humor in der Geschichte stecken muss, um wirklich gut zu sein. Wenn man das alles hat…
A: Ja, Anthony, George und Lucy sind sehr sympathische Figuren. Sie sind ein bisschen seltsam und verrückt, aber es sind Menschen, mit denen man fühlen kann.
J: Ja.
A: Es ist ein bisschen blutig, aber es gibt immer etwas zu lachen.
J: Das ist wichtig, da es eine übernatürliche und beängstigende Geschichte ist. Um es zu wiederholen, es wäre zu viel, wenn es nur diese ekligen Dinge gäbe. Dann hast du nach dem Lesen nur das Gefühl, dich dringend waschen zu müssen. Deshalb versuche ich zwischen Kapiteln mit wirklich furchteinflößenden Geschehnissen zu balancieren, indem ich alberne Gags einwerfe. Yeah, diskutieren und grummeln und dann kommt etwas mehr Gruseliges dazu. Diese beiden Seiten balancieren einander aus. Ich denke, das funktioniert. Und ich bin begeistert, dass es auch im Deutschen funktioniert, weil es von meine exzellenten Übersetzern übertragen wurde.
A: Eine sehr gute Übersetzung.
J: Es ist toll, zu wissen, dass es funktioniert.
A: Mögen Sie einen der drei Hauptprotagonisten am liebsten?
J: Ich mag George, weil es sein Part ist, ein bisschen sarkastisch zu sein und ab und zu mit etwas blöden Sprüchen um die Ecke zu kommen, was mich ein bisschen an Bartimäus erinnert, der ähnlich war. Der platzte auch mit leicht ruppigen Witzen heraus, welche die anderen Charaktere aus der Reserve lockten. Ich mag George, aber ich mag grundsätzlich alle drei. Alle geben mir etwas anderes. Ich mag Lockwood, da er schneidig und irgendwie heldenhaft ist und…
A: Etwas von einem englischen Gentleman steckt in ihm, zehn oder zwanzig Jahre in die Zukunft gedacht.
J: Yeah, das ist so, aber er vermasselt auch Sachen und macht Fehler, denn wäre er perfekt, wäre er langweilig. Deshalb mag ich ihn. Er eifert Sherlock Holmes nach, aber schon bald liegt er daneben. Ich mag Lucy, weil sie ziemlich zäh ist und stark, jedoch wollte ich sie nicht zu einem dieser Mädchen machen, die sich direkt als brillante Kämpferinnen heraus stellen. Gut, ein bisschen habe ich das gemacht. Ich hätte sie etwas normaler gestalten können, aber auf jeden Fall stark und scharfsinnig. Ja, ich habe sie ebenfalls gern.
A: Legen Sie besonderes Augenmerk darauf, weibliche und männliche Figuren in Ihren Geschichten zu haben, um das Interesse von weiblichen und männlichen Lesern zu wecken?
J: Sicher, meine Leserschaft besteht aus sehr vielen Jungs und auch vielen Mädchen. Ich möchte immer einen starken weiblichen Charakter und einen starken männlichen Charakter haben, weil… ich vermische das gern, sodass die weiblichen Figuren sehr taffe Qualitäten haben, fast schon männlich, und dass die männlichen Figuren feminine Charakterzüge aufweisen, wie es auch im Leben ist, ein Mix, und ich möchte, dass meine Charaktere ein guter Mix sind.
A: Gibt es in Ihren Büchern Charaktere, die Personen aus Ihrem wirklichen Leben nachempfunden sind?
J: Es ist nie so, als ob nur eine einzige Person Lockwood oder Lucy werden würde, es sind immer Bruchstücke von verschiedenen Menschen, die ich treffe. Als meine Mutter die erste Bartimäus-Geschichte las, sagte sie „Oh ja, er ist dir sehr ähnlich, oder?“ Und ich dachte, klar, Bartimäus ist lustig und energiegeladen, charismatisch und… doch dann meinte sie „Nein, nicht Bartimäus, Nathanael!“ Es war Nathanael, der mir ähnelte, als ich ein Kind war. Damals war ich ziemlich ernsthaft und wollte immer nur das Richtige machen. Meine Mutter sah diese Ähnlichkeit.
A: Lesen Ihre Kinder oder Ihre Frau Ihre Bücher, bevor sie veröffentlicht werden?
J: Meine Frau liest sie, bevor sie veröffentlicht werden, meine Frau liest sie, während ich an ihnen schreibe. Meistens komme ich bis zur Hälfte der Geschichte und bleibe stecken, gebe sie ihr und sie liest sie, wir diskutieren darüber und darin ist sie sehr gut. Sie hilft mir dabei, die guten Ideen herauszuarbeiten, und sagt mir, was nicht funktioniert. Manchmal mache ich die Dinge zu kompliziert und dann sagt sie „Du kannst das auflösen, mach es etwas einfacher“. Meine Kinder sind neun und sechs, noch ein wenig jung, aber sie fangen an, mir zu helfen. Meine kleine Tochter Isabelle, die neun ist, schreibt und zeichnet die ganze Zeit und hat einen Geist für Lockwood gestaltet, sie hat Ideen für Geister und sagt sie mir. In meinem ersten Lockwood-Buch gibt es einen Küchentisch mit einer Tischdecke, worauf die Figuren Nachrichten und Ideen schreiben. Das war die Idee meiner Tochter. Das ist ihr Ding. Die denkende Tischdecke.
A: Also haben Sie ihre Ideen geschnappt, um damit Geld und Ehre zu verdienen?
J: Ja (lacht). Aber irgendwann wird das genau umgekehrt sein. Wird es auf jeden Fall. Das ist okay. Sie lernt noch und in ein paar Jahren werde ich ihr ein paar Ideen schenken.
A: Wie gefällt Ihnen das deutsche Cover, das sich total vom Original unterscheidet?
J: Ich mag es sehr. Es ist sehr ausdrucksstark. Einige Leute haben mich darauf angesprochen und gesagt, dass sie es lieber mögen, wenn keine Person auf dem Cover abgebildet ist, damit sie sich die Charaktere besser vorstellen können, wie es ihrer Vorstellungskraft entspricht.
A: Im Moment gibt es sehr viele Bücher mit Personen darauf. Auf dem deutschen Markt sind Gesichter sehr beliebt, wie man auch in dem Regal hinter Ihnen sehen kann (Bücherwand am cbj-/cbt-Stand). In meiner Buchbesprechung habe ich geschrieben, dass das Schloss auf dem Titel den Leser dazu einlädt, das Buch zu öffnen und die Geheimnisse und Abenteuer, die Lockwood und Co. erleben, zu entdecken.
J: Ich denke, es ist ein wie ein Symbol, das sich durch alle Bücher zieht. Wie bei den deutschen Covern von Bartimäus, die alle das gleiche Bild in verschiedenen Farben haben. Es war nett und einfach und hat sehr gut funktioniert. Bei Lockwood ist es die gleiche Grundidee und die ist gut.
A: Es ist wie eine Marke für einen Schriftsteller, damit man gleich erkennt „Oh, das erinnert mich an Stroud. Oh, das ist der neue Stroud!“
J: Ja, die deutschen Cover sind immer sehr stark, sehr nett gestaltet.

I: Wir lieben Bartimäus sehr… wir haben sogar Bartimäus-Buchstützen zu Hause.
J: Oh, ich habe auch eine. Die Verleger haben mir eine gegeben, sie sitzt auf meinem Regal, schaut auf mich herunter und passt auf, dass ich gut schreibe. Bartimäus hat mir beigebracht, dass dabei einige Dinge sehr hilfreich sind. Ich versichere mich immer, dass ich ein paar Witze einbaue.
A: Gibt es Pläne, dass eines Ihrer Bücher verfilmt wird?
J: Hmm… Bartimäus und Lockwood… beide könnten verfilmt werden. Man weiß es nie. Die Leute von „Ich, einfach unverbesserlich“ haben zumindest die Filmrechte für Lockwood gekauft.
I: Wir haben Magnete zum Film.
J: Ihr habt Magnete von „Ich, einfach unverbesserlich“? Die Leute, die das gemacht haben, machen hoffentlich auch den Lockwood-Film. Und wir hoffen, dass es eines Tages auch Bartimäus auf die Leinwand schafft. Die Leute wollen es machen.
A: Sollen die Filme mit realen Menschen gedreht werden?
J: Ja, bei beiden mit echten Menschen. Das ist der Plan. Und ich denke, der Zeitpunkt jetzt ist für Bartimäus genau richtig, denn in den letzten zehn Jahren hat sich einiges getan in der Computergrafik…
A: … und es ist nicht mehr so teuer.
J: Jetzt kann man Bartimäus seine Gestalt wechseln lassen und alles Mögliche andere machen… Ah, oh ja, danke, wow, der ist aber gut (Sabrina schenkt Jonathan Stroud einen „Ich, einfach unverbesserlich“-Magneten)! Wo habt ihr den her, habt ihr mehrere davon?
A: Yeah, wir haben viele davon… das war ein Give-Away.
J: Den zeige ich meinen Kindern. Die werden sich sehr freuen. (Sabrina rückt einen zweiten Magneten raus) Sicher? Dankeschön!
A: Die müssen Sie aber wirklich Ihren Kindern geben!
J: Vielen, vielen Dank, die werden sich unheimlich freuen! So, ich hoffe, dass die Filme gemacht werden. (Rufe aus dem Off: Bartimäus – Lockwood – Bartimäus – und Lockwood!!!)
A: Haben Sie einen Favoriten, falls Sie sich für einen entscheiden müssten?
J: Ich schätze, Bartimäus, da ich zehn Jahre lang nicht die Möglichkeiten hatte, ihn zu einer Filmfigur zu machen. Es klappte nie. Deshalb wäre es sehr aufregend, wenn jemand das machen würde. Ich denke, es wäre perfekt für einen Film. Wenn man die richtige Person bekommt. Ich wüsste nicht, wer dafür in Frage käme. Wer würde zu Bartimäus passen?
A: Sie müssen sich eine englische Stimme überlegen und wir eine deutsche.
J: Es ist eine Sache der Stimme.
A: Yeah.
J: Das ist schwer. Bisher habe ich niemanden gehört, den ich dafür haben wollen würde.
I: Martin Semmelrogge, Rainer Strecker… diabolisch, sarkastisch…
A: Oliver Rohrbeck, die Stimme von Ben Stiller.
J: Man muss den Humor haben, aber auch ein bisschen Gefahr in der Stimme.
A: Oder Sie lernen perfektes Deutsch und sprechen das englische Original und dann die deutsche Synchronisation.
J: Das könnte etwas dauern. Das würde durchaus ein paar Jahre in Anspruch nehmen.
A: Weitere zehn Jahre.
J: Weitere zehn Jahre. Dann könnte klappen. Bis dahin wäre ich alt. Aber ich denke, das ist etwas, was ich nicht tun würde. Lieber weiter schreiben und jemand anderes kann…
A: Ihr Sohn!
J: Wer weiß. Er würde es vielleicht wollen. Wir werden sehen.

© Anette, Ina und Sabrina:

Anette hat am meisten gefragt, Ina das meiste getippt und Sabrina am meisten gelacht ;)
Übersetzung: Ina
Tagged , ,

1 thought on “[COOL-TOUR-KATZE] Interview mit Jonathan Stroud auf der Frankfurter Buchmesse 2013 (deutsch)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert