Redakteur: Anette Leister (28.10.2014)
Autor: Boris Koch
Verlag: Heyne fliegt
Reihe: -/-
empfohlenes Lesealter: ab 10 Jahre
Ausführung: Hardcover, 336 Seiten
Boris Koch wurde 1973 geboren und wuchs auf dem Land südlich von Augsburg auf, ehe es ihn dann in die Stadt zog: In München studierte er Alte Geschichte und Neuere Deutsche Literatur, als freier Autor lebt er heute in Berlin. Neben seinen Fantasyromanen wie z.B. „Der Drachenflüsterer“, die Leser jeden Alters fesseln, machte er sich bereits einen Namen als Jugendbuchautor: Für seinen Krimi „Feuer im Blut“ erhielt er den Hansjörg-Martin-Preis.
DAS KANINCHENRENNEN
Im Städtchen Niederrhode ist es seit vielen Jahren Tradition zum Andenken an ein kleines Kaninchen, welches vor 400 Jahren die Stadt gerettet hat, ein Kaninchenrennen abzuhalten. In jedem Jahr nehmen die 10jährigen Jungen und Mädchen daran teil. Die Rennkaninchen stammen alle von dem namenlosen Retter der Stadt ab. Bei einer Schnupperstunde vor dem Rennen darf sich jedes Kind einen Favoriten auswählen, der je nach Gefragtheit später den Teilnehmern zugelost wird.
„…Natürlich geht es bei einem Rennen immer um das Gewinnen, sonst
könnte man ja auch gemeinsam spazieren gehen und sich die Medaillen
sparen. Nur der Sieger wird in den Sockel graviert, und trotzdem ist es
wichtig, überhaupt anzutreten, denn das Rennen bedeutet den ersten
Schritt zur Aufnahme in die erwachsene Gemeinschaft. Es geht darum, vor
den Augen aller alles zu geben, sich gegenseitig zu necken und doch
zusammenzugehören. Denn eigentlich geht es ums Verlieren. Man soll
lernen zu verlieren.“ (S.190)
Da Tim mit schönster Regelmäßigkeit zu allen Dingen zu spät kommt, verpasst er auch die Schnupperstunde. Er entscheidet sich für ein Kaninchen, das ihm verschmitzt zugezwinkert hat, nichts ahnend, dass dieses Kaninchen einen verkümmerten Vorderlauf hat.
Tims Opa und Trainer wendet sich daraufhin verbittert von ihm ab, denn seine ganze Hoffnung lag auf Tim, die Familienschmach abzuwenden, die vor etlichen Jahren sein Vater verursacht hat. Denn dieser hat „gekniffen“ und trat nicht zum traditionsreichen Rennen der Stadt Niederrhode an.
Sowohl Tim als auch sein Opa brauchen lange, um den eigentlichen Sinn des Rennens zu verstehen. Natürlich ist gewinnen toll, selbst nach dem Zweitplazierten kräht nach einem Jahr kein Hahn mehr. Aber ein alter Freund von Tims Vater, seine Oma und seine neuen Freunde Pascal und Lissy zeigen Tim, worum es bei dem Rennen wirklich geht: Freundschaft und Teil einer Gemeinschaft sein!
„Trotzdem ist es unfair, wenn man nicht gewinnen kann“, beharrte Tim. „Darum geht es doch beim Rennen.“
„Nein, mein Junge. Es geht ums Dabeisein. Glaub mir, ich durfte nicht mitmachen, ich weiß, wovon ich rede.“ (S.250)
Boris Koch verarbeitet in seinem Roman „Das Kaninchenrennen“ viele Arten von Vorurteilen und Diskriminierung. Wenn mir vorher einer gesagt hätte, das hier Diskriminierung gegenüber Behinderten ebenso ein Thema sind wie die ungleiche Behandlung von Frauen gegenüber Männern, hätte ich die Befürchtung gehabt, dass die Geschichte vorrangig durch diese Themen bestimmt ist oder völlig überladen wirkt. Dem ist aber zum Glück gar nicht so, der Autor hat diese Themen sehr stimmig mit dem Kontext der Geschichte verknüpft, so dass man beim Lesen ganz nebenbei viel über ungerechte Behandlung erfährt, aber nicht davon erschlagen wird, geschweige denn das Gefühl hat, dass der Autor einem gerechtes Verhalten mit dem erhobenen Zeigefinger eintrichtern will.
Die Charakterausarbeitung ist durchweg gelungen. Neben den drei Hauptcharakteren Tim, Pascal und Lissy, die alle drei auf die eine oder andere Weise Aussenseiter in der Gemeinschaft Niederrhodes sind, überzeugen auch Figuren wie Tims Opa, seine Oma, sein ehemals bester Freund und Paragraphenreiter Carsten.
Daneben faszinieren die unglaublich fantasievollen Ideen und Lokationen, die den Rahmen für Boris Kochs Freundschaftsgeschichte bilden. Die spannende Fabel um die Rettung der kleinen Stadt durch ein kleines Kaninchen, die skurrilen Gebäude und traditionsreichen Riten, die der Sage und dem tierischen Helden huldigen.
Zudem ist das Buch mit so viel Liebe zum Detail veröffentlicht worden: passend zum Titel und dem Inhalt der Geschichte, schmückt ein Daumenkino die unteren Ecken des Buches, bei dem man selbst das dreibeinige Kaninchen zum Rennen schicken kann. Des Weiteren gibt es ein Spiel zum Download, bei dem viele Figuren aus dem Buch eine Rolle spielen.
„Das Kaninchenrennen“ ist ein wunderbarer Lesespaß mit Tiefgang, sowohl für junge als auch für erwachsene Leser, bei dem meiner Meinung nach von der Ausstattung über die Geschichte, bis hin zu den Charakteren und dem Ambiente, einfach alles perfekt aufeinander abgestimmt und ausgearbeitet ist!
Redakteur: Natalie Burger