Redakteur: Anette Leister
Autor: Brigitte Endres
Verlag: Thienemann
Reihe: Band 1
empfohlenes Lesealter: ab 10 Jahren
Ausführung: Hardcover, 240 Seiten
Brigitte Endres, in Würzburg geboren, studierte Geschichte und Germanistik. Ihr Talent zum Fabulieren entdeckte die ausgebildete Lehrerin, als sie begann, für ihre Schüler zu schreiben. Bald darauf wurde ihr erstes Kinderbuch publiziert. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen bei verschiedenen Verlagen sowie im Bayerischen Rundfunk. Heute ist Brigitte Endres hauptberuflich als Autorin tätig.
www.brigitte-endres.de
DER TAG, AN DEM MEIN MEERSCHWEINCHEN KRIMINALOBERKOMMISSAR WURDE
„Der Tag, an dem mein Meerschweinchen Kriminaloberkommissar wurde“ macht neugierig mit seinem schrägen Titel, Inhalt und Figuren können die Assoziation zu schräg oder skurril mehr als halten, in meinem Fall wurde die Erwartungshaltung eindeutig übertroffen was Storyline und Protagonisten anging:
Valentines Eltern sind Bestatter, sie haben also im wahrsten Sinne des Wortes „Leichen im Keller“. Eines Tages kommt als Kunde der an seinem Herzleiden dahingeschiedene Kriminaloberkommissar Kasimir in das Haus ihrer Eltern. Vor diesem Tag hat Valentine nie an Seelenwanderung geglaubt, doch als der Geist des Kriminaloberkommissars in ihr Meerschweinchen Bully fährt, das just in der Zeit an einem Stromschlag stirbt als der Oberkommissar für seine Beerdigung vorbereitet wird, sieht sich Valentine nicht nur eines Besseren in dieser Hinsicht belehrt, sondern wird kurzerhand zur Kriminalassistentin berufen und steckt inmitten einer Mordermittlung. Denn der Oberkommissar aka Bully aka Herr Kasimir ist der festen Überzeugung Opfer eines Mordanschlags geworden zu sein…
Brigitte Endres habe ich in der Vergangenheit hauptsächlich durch Bilderbücher und Bücher für Erstleser kennengelernt. „Der Tag, an dem mein Meerschweinchen zum Kriminaloberkommissar wurde“ ist das zweite Buch der Autorin, welches ich las, das für ein etwas älteres Lesepublikum konzipiert wurde und es hat mich restlos begeistert! Das skurrile Setting, sowie die sehr gut ausgearbeiteten und ebenfalls häufig schräg ausgelegten Figuren haben mich dermaßen in den Lesebann gezogen, dass ich das Buch innerhalb kürzester Zeit verschlungen hatte:
Für gewiefte Krimileser mag die Entwicklung der Geschichte keine Überraschung sein. Aber für Kinder, Jugendliche und erwachsene Gelegenheitskrimileser legt die Autorin wenig vorhersehbaren, verschachtelte und sehr gut konstruierte Spuren aus, bei denen es Spaß macht, ihnen bis hin zur Auflösung des Falles zu folgen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es einige erwachsene Leser von humorvollen Krimireihen gibt, die an diesem Kinderkrimi nicht weniger Vergnügen haben als ihre jüngeren Pendants. Krimilesern mit lesebegeisterten Nachwuchs lege ich in jedem Fall ans Herz Valentines Geschichte gemeinsam lesend zu entdecken.
Doch die verrückten Ideen und die spannende Kriminalhandlung sind noch lange nicht alle Facetten dieses Kinderromans, mit denen mich die Autorin gefangen genommen und überzeugt hat.
Besonders gut hat mir die Aussage gefallen, dass man auch als Außenseiter gute Freunde finden und die Fassade eines Menschen einen völlig Eindruck von der Person vermitteln kann, die sich hinter der Hülle versteckt – es trägt eben nicht jeder Mensch sein Herz nach außen.
Ich fühlte, wie mir die Tränen hochstiegen. Ich dachte, verdammt, er hätte Freunde haben können und hat es nicht gewusst. Er hat sich so auf die schlechten Seiten der Menschen konzentriert, dass er die guten nicht mehr sehen konnte. (S.132)
Ganz vorne dabei bei den eckigen, kantigen und verschrobenen Figuren dieser Geschichte ist der Oberkriminalkommissar: mittleren Alters und Muttersöhnchen bis zum Verscheiden der geliebten Mama. Doch auch für diese Figur werden beim Leser schnell Sympathien geweckt, da sie durch ihren Bodyswitch in den Körper eines Meerschweinchens nun völlig auf die Pflege und Fürsorge eines anderen Menschen – in diesem Fall Valentine – angewiesen ist. Brigitte Endres schafft es hierbei abwechselnd Mitleid und ein herzhaftes Lachen hervorzurufen. Keiner von uns mag sich wohl die Situation vorstellen, dass man in eine Ecke eines Käfigs zum Geschäft verrichten gehen muss und anschließend darauf angewiesen ist, dass einem jemand hinterher den Dreck wegräumt. In Momenten, in denen der nikotinsüchtige Herr Kasimir Valentine dazu drängt ihm eine Zigarette anzustecken und er geflasht vom Nikotin umkippt, muss man jedoch herzhaft Schmunzeln.
„… Was nützt mir meine ganze Erfahrung, wenn sie in diesem verfluchten Meerschweinchenschädel steckt.“
„Besser als tot“, gab ich zurück, während ich die Treppe hochstapfte.
„Das ist die Frage“, brummte Herr Kasimir.
Ich antwortete nicht. Ich wusste weder, wie es war, tot zu sein, noch wie sich ein Oberkommissar in einem Meerschweinchenkörper fühlen musste. (S.56)
Das Buch beinhaltet so viele schöne und hintergründige Aussagen, und macht trotzdem vor allen Dingen Spaß. Es hat einfach alles, was ich Buch haben muss, damit es einem noch lange in Erinnerung bleibt. Nach Michael Gerard Bauer hat Brigitte Endres ein weiterer Autor es bei mir geschafft, mich mit seinen Büchern gleichzeitig zu berühren und gut zu unterhalten (ein Vergleich mit MGB ist eine Erhebung in meinen persönlichen Lieblingsautorenolymp). Spaß und Tiefgründigkeit müssen sich in (Kinder-)Büchern nicht gegenseitig ausschließen!
Zum Glück schreibt Brigitte Endres bereits an einem zweiten Band. Die Geschichte funktioniert zwar problemlos als Stand-Alone, aber nachdem man die Charaktere einfach ins Herz schließen muss, gibt es keine schönere Nachricht für den Leser, als ein Versprechen für ein Wiederlesen mit Valentine und ihren (tierischen) Freunden.
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