Redakteur: Anette Leister
Titel: Die wahre Geschichte von Regen und Sturm (OT: Rain reign)
Autor: Ann M. Martin
Übersetzer: Gabriele Haefs
Verlag: Königskinder
Reihe: -/-
empfohlenes Lesealter: ab 12 Jahre
Ausführung: Hardcover, 240 Seiten
Ann M. Martin wurde in Princeton, New Jersey (USA), geboren. Sie war Lehrerin und arbeitete als Lektorin in einem New Yorker Kinderbuchverlag. Mittlerweile lebt sie vom Schreiben und hat bereits viele Romane veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet wurden, unter anderem mit der renommierten Newbery Medal.
DIE WAHRE GESCHICHTE VON REGEN UND STURM
Ruth (ruht) ist ein fast (fasst) 12jähriges Mädchen mit hochfunktionalem Autismus. Sie (sieh) wächst bei ihrem alleinerziehenden Vater auf, da die Mutter die Familie verlassen hat, als sie (sieh) gerade (gerade im Sinne von erst, nicht im Sinne von nicht schief) mal zwei Jahre alt war (wahr).
Ruth mag:
1. Wörter (vor allem Homophone)
2. Regeln
3. Zahlen (vor allem Primzahlen)
Wegen Ruths Vorlieben mutet der Beginn meiner Rezension auch etwas eigenartig an, da Ruth ihre Geschichte selbst erzählt, und so während der kompletten Handlung Homophone und Homonyme in Klammern aufgeführt werden. Ruth sammelt diese Wortpaare (ein Paar sind immer zwei, wohingegen ein paar auch mehr als zwei sein können) auf einer handgeschriebenen Liste, wenn jemand Regeln nicht einhält, ist ihr fast zum Heulen und zur Beruhigung schreit sie dann meistens Primzahlen laut heraus. Kein Wunder also, dass die Kinder in ihrer Klasse sie seltsam finden und kaum einer es schafft eine Bindung zu ihr aufzubauen. Selbst zu ihrem Vater hat sie keinen Draht. Dieser war gerade mal 21 Jahre alt als Ruth geboren wurde, und ist mit ihrer Erziehung eindeutig überfordert. Wenn er nicht arbeiten ist, geht er meistens ins „Irische Glück“ zum Trinken, Hauptsache, er kann Ruth und den täglichen Sorgen aus dem Weg gehen. Er hat Probleme den Tatsachen ins Auge zu sehen und möchte eigentlich nur, dass Ruth sich integriert und ihr merkwürdiges Verhalten sein lässt, damit er sich nicht noch mehr mit ihren Problemen auseinander setzen muss.
Zum Glück hat Ruth neben ihrem Vater noch ihren Onkel Weldon und ihren Hund Regen, den ihr Vater im Regen gefunden hat. Mit Weldon kann sie über alles reden und Regen verhilft ihr sogar Kontakt zu ihren Klassenkameraden zu schließen. Doch als ein Hurrikan die kleine Stadt heimsucht, in der Ruth zuhause ist, lässt ihr Vater Regen ohne Halsband heraus und diese geht im Unwetter verloren. Was soll Ruth nun bloß ohne Regen machen? Zum Glück hilft Onkel Weldon ihr auf der Suche nach Regen und Ruth beweist in dieser tragischen Situation, welch ein großartiges und intelligentes Mädchen tatsächlich in ihr steckt.
Die Nachmittage sind lang. Es ist, als wären sie voll von leerem Raum – Raum zwischen der Schachtel und den Hausaufgaben, Raum zwischen den Hausaufgaben und dem Kochen. Ich weiß nicht, was ich mit dem Raum machen soll. Sonst hat Regen den immer gefüllt.
Wie füllt man leeren Raum? (S.158)
„Die wahre Geschichte von Regen und Sturm“ ist ein sehr berührendes, ruhiges und doch außerordentlich spannendes Buch über ein ungewöhnliches Mädchen.
Da Ruth ihre Geschichte selbst erzählt, kann man sich sehr gut in ihr Gefühlsleben und ihren Verstand hinein versetzen, dennoch schafft es die Autorin trotz der Ich-Perspektive auch die weiteren Haupt- und Nebencharaktere einfühlsam und echt zu schildern, so dass man sich auch in deren Situation und den täglichen Umgang, den sie mit Ruth haben, hineinversetzen kann.
Obwohl die Autorin (bzw. in der deutschen Version die Übersetzerin) konsequent die Aufführung von Homophonen und Homonymen durchziehen, unterbricht dieses Stilmittel nicht den Lesefluss. Viel mehr habe ich mich auf dieses Spiel eingelassen und mich häufig gefragt, ob mir alle Homophone beim Schreiben eingefallen wären. An dieser Stelle muss ich auch die Übersetzungsarbeit von Gabriele Haefs loben, denn wie bereits am Originaltitel „Rain reign“ zu sehen ist, sind es im englischen wie im deutschen natürlich ganz andere Wörter, die Homophone oder Homonyme bilden.
Ich habe die Geschichte ab der ersten Seite sehr gerne gelesen, ab dem Verschwinden von Regen während des Hurrikans konnte ich die Geschichte dann gar nicht mehr aus der Hand legen: zu gespannt war ich, ob Ruth Regen wiederfinden kann, ich habe regelrecht mit ihr gelitten nach dem Verschwinden des Hundes. Doch nicht nur die Sache mit Regen führt im weiteren Lauf der Geschichte noch zu der einen oder anderen Überraschung, die Autorin wirft am Ende des Buches einige Tatsachen über den Haufen, die sich als blanker Trug und Schein entpuppen.
„Die wahre Geschichte von Regen und Sturm“ ist eine ungewöhnliche Geschichte: sowohl vom Erzählstil als auch von ihrer tragenden Hauptfigur. Es ist eine berührende Geschichte über Familie und Freundschaften und über die außergewöhnliche Stärke eines kleinen Mädchens, dass es in seinem Leben nie einfach hatte und in einer Krisensituation weit über sich und seine Möglichkeiten hinauswächst.