Redakteur: Anette Leister
Autor: Steven Herrick
Übersetzer: Uwe-Michael Gutzschhahn
Verlag: Thienemann
Reihe: -/-
Ausführung: Hardcover, 208 Seiten
Steven Herrick wurde in Brisbane als jüngstes von sieben Kindern geboren. Er arbeitet schon seit vielen Jahren als Autor, auch wenn er noch lieber Profi-Fußballer geworden wäre. Steven Herrick lebt mit seiner Partnerin in den Blue Mountains bei Sydney in Australien und hat zwei erwachsene Söhne.
Der Hauptgrund für mich zu diesem Buch zu greifen, war der ungewöhnliche Aufbau und Übersetzer Uwe-Michael Gutzschhahn.
Vor einigen Jahren habe ich ein Buch gelesen, welches komplett in Versform geschrieben war, das Gutzschhahn kongenial ins Deutsche übertragen hat und er seitdem einer meiner liebsten Übersetzer vom Englischen ins Deutsche ist. Da „Wir beide wussten, es war was passiert“ vom Aufbau ebenfalls alles andere als 08/15 ist, wenn auch nicht gereimt, war mir klar, dass ich es allein wegen seiner Übersetzungskünste lesen möchte und ich wurde nicht enttäuscht. Der Text ist nicht gereimt, er ist auch nicht wie Poetry Slam, auch nicht lyrisch oder Prosa, er wirkt viel mehr runtergeschrieben wie die Gedanken der Protagonisten, spontaner, wenig strukturiert. Wer sich nicht sicher ist, ob diese Art von Text für einen über 200 Seiten lang gut lesbar ist, sollte zunächst einen Blick in das Buch oder eine Leseprobe werfen.
Für mich passte diese Art zu schreiben perfekt auf den Inhalt des Buches, denn so vermittelt der Autor die Gefühlswelt seiner Protagonisten greifbar und echt. Jeder der drei agierenden Protagonisten erzählt aus der Ich-Perspektive.
Der 16jährige Billy haut zuhause vor seinem alkoholabhängigen und gewalttätigen Vater ab.
Er strandet in der Stadt Bendarat.
Dort lernt er auf einem leerstehenden Bahnhofsgelände den obdachlosen Alkoholiker Old Bill kennen und das Mädchen Caitlin, welches im McDonalds arbeitet, wo sich Billy von den Resten anderer Gäste ernährt.
Caitlin ist ein Mädchen aus reichem Haus, aber nicht oberflächlich, sie erkennt den Menschen hinter Billy, sie blickt hinter die Fassade des obdachlosen Penners.
Old Bill ist wie Billys Vater Alkoholiker, hinter seiner Entwicklung stehen jedoch schwere Schicksalsschläge.
Billy, Old Bill und Caitlin haben alle mehr oder minder schwere Probleme, sie helfen sich gegenseitig und haben so die Chance auf eine bessere Zukunft.
Dermaßen abgehackt würde der Inhalt der Geschichte in Anlehnung an den Stil des Autoren lauten. Wie gesagt, auf mich wirkt es, es lässt er einfach die Gedanken aus den Köpfen seiner Protagonisten strömen, aber so habe ich mich jeder der drei Figuren extrem nahe gefühlt. Mit Old Bill hatte ich zunächst Probleme wegen seiner Alkoholsucht, zumal man ja ganz zu Beginn der Geschichte mit den schlimmen Auswirkungen einer Suchterkrankung auf Familienangehörige konfrontiert wird. Nach und nach versteht man aber seinen Charakter immer besser und als das Geheimnis gelüftet wird, warum er in den Alkoholismus und die Obdachlosigkeit abgerutscht ist, steht man als Leser auf seiner Seite. Billy und Caitlin sind obwohl von den Lebensumständen so grundverschieden situiert, beide von Anfang an klare Sympathieträger. Zwischen den drei Charakteren verknüpfen sich immer stärkere freundliche und sogar familiäre Bande, letzten Endes verdankt Billy es Old Bill, das er in Bendarat ein neues Leben anfangen kann und nicht zurück zu seinem Vater muss.
Die Gestaltung des Covers – ebenso wie der Kapitelanfänge – ist so
schlicht wie genial und passt wie die Faust aufs Auge zu dieser
Geschichte.
Wer sich auf den ungewöhnlichen Schreibstil einlassen kann, wird in „Wir beide wussten, es war was passiert“ eine sehr gefühlvolle Geschichte finden, die einen direkt von Beginn packt und bis auf die letzte Seite nicht mehr loslässt! Eine zarte Erzählung, die vom Verlieben, von Freundschaften und familiären Beziehungen handelt.
Dieses Buch ist ein kleiner Schatz, das durch seinen besonderen Aufbau direkt auffällt – denkt man auf den ersten Blick, es könnte sich um Gedichte handeln, sind es doch „nur“ einfach Sätze, die in mehreren Zeilen umbrochen werden. Wer jedoch meint, dies wäre banal, der hat die Worte, die sich wohl gewählt Zeile um Zeile aneinander reihen, nicht auf sich wirken lassen. Ich habe gemerkt, wie ich viel bewusster und auch viel langsamer gelesen habe, um die volle Bedeutung zu begreifen und die Bilder in meinem Kopf entstehen zu lassen. Auch wenn es keine Gedichte sind, so ist diese Geschichte nichtsdestotrotz voller Poesie, voller Gefühle, trauriger Momente und vor allem schöner Augenblicke, die man unerwartet morgens am Gleis in der kalten Morgenluft findet.
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