Redakteur: Anette Leister
Am Messesamstag gab es eine Podiumsdiskussion mit vier niederländischen Kinder- und Jugendbuchautoren, des Weiteren waren zwei ihrer Übersetzer anwesend. Moderiert wurde das Gespräch von Ute Wegmann.
Die erste Hälfte der Diskussion führten Ute Wegmann, Simon van der Geest (Krasshüpfer, Thienemann), Anna Woltz (Gips, Carlsen) und die Übersetzerin Andrea Kluitmann.
UW: Eine Frage zu „Gips“: Kann man heutzutage überhaupt noch einen ernstzunehmenden Roman über eine heile Familie schreiben?
AW: Natürlich kann man das.
UW: Die Spannung in dem Roman resultiert ja daraus, dass wir erfahren Fitz hat Hausarrest, weil sie etwas gemacht hat, sie hat sich einen Satz auf die Stirn geschrieben, aber das halten sie sehr, sehr lange durch, uns das nicht zu verraten, genau wie Sie, Simon van der Geest, sehr lange durchhalten, uns das Geheimnis nicht zu verraten, das diese beiden Brüder verbindet und aneinanderkettet. Was sich zum Schluss auflöst und die beiden Brüder ein Stück weit befreit aus ihrer schrecklichen Situation.
Simon van der Geest liest einen Auszug aus „Krasshüpfer“.
UW: Zwei große Kinderromane, die Sie geschrieben haben, mit Tiefgang, mit Spannung und mit Witz.
Was ist das Schwierigste Anna Woltz in diese Romane hineinzubringen? Ergibt sich das alles direkt, oder denkt man, hach, ich muss das alles ein bisschen leichter machen, ich muss vielleicht doch noch etwas mehr Humor hineinbringen, wie ist das?
AW: „Gips“ handelt sich um eine Trennung und es spielt sich ab in einem Krankenhaus. Das ist ziemlich viel und ich habe wirklich versucht es auch leicht zu machen und witzig und ich denke, ich habe es geschafft. Aber es war wirklich schrecklich, um „Gips“ zu schreiben. Ich fühle mich immer, wie die Hauptfiguren sich fühlen. In „Gips“ habe ich mich gefühlt, als ob meine Eltern sich vor einer Woche getrennt hätten, und das war wirklich das Schwierigste. Lesen ist okay, ich habe von vielen Leuten gehört es ist witzig und interessant, aber das Schreiben war ziemlich traurig.
UW: Simon van der Geest, wie war das mit „Krasshüpfer“?
SG: „Krasshüpfer“ war auf eine Art und Weise leicht zu schreiben, sobald ich diese Stimme gefunden hatte. Aber die Konstruktion von dem Buch war sehr kompliziert. In meinem Schreibzimmer hingen überall Post-Its mit Szenen und ich musste sie mischen. Es war sehr schwierig die komplizierte Konstruktion so zu machen, dass sie leicht und natürlich wirkt. Das man nicht merkt, dass es eine komplizierte Konstruktion hat.
UW: Das ist Ihnen gelungen.
Ich bedanke mich ganz, ganz herzlich bei Anna Woltz und Simon van der Geest und Andrea Kluitmann, heute ein bisschen arbeitslos.
In der zweiten Hälfte der Diskussion kamen Edward van der Vendel (Krebsmeisterschaft für Anfänger, Carlsen), Sjoerd Kuyper (Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling, Thienemann) und Eva B.? zu Wort.
UW: Das heißt, sie sind eigentlich von Anfang an in Ihrem Berufsleben der Kinderszene, der Kinderliteratur, verbunden gewesen?
EV: Ja, das war auch immer mein Traum. Ich wollte immer mit Kindern arbeiten, ich wollte immer Lehrer werden, solange ich denken kann. Mein Vater war Lehrer, meine Mutter war Lehrerin, das ist nicht sehr originell.
UW: Sjoerd Kuyper, geboren in Amsterdam, sie leben jetzt in Bergen, Sie haben als Schriftsteller begonnen mit Gedichten, aber auch mit Musik, sie schreiben Romane für Erwachsene, für Jugendliche, Sie sind auch Drehbuchautor. Die ins Deutsche übersetzte Bücher sind in einer Anthologie zusammengefassten Geschichten über den kleinen Jungen Robin, sie heißen bei uns „Robin und Schnuff“, Geschichten zum Vorlesen, sehr poetisch bebildert von Marije Tolman, ganz wundervolle Bilder. Zum anderen ist aktuell sehr bekannt der Jugendroman „Erst wirst du verrückt, und dann ein Schmetterling“. Auch bei Ihnen spielte ja die Musik eine große Rolle, am Anfang ihrer Karriere haben Sie Ihre Gedichte bei Auftritten mit Gitarre begleitet. Wie haben Sie das gemacht, gesungen haben Sie aber nicht? Wie waren Ihre Auftritte?
SK: Das ist fünfzig Jahre her.
UW: Jetzt übertreiben Sie. Ich habe extra ihr Geburtsdatum nicht gesagt.
SK: Ja, das ist gut.
Ich liebte die Musik sehr. Und ich wollte Sänger werden. Popmusiker und berühmt. Alle Träume in dieser Zeit. Dann habe ich angefangen Gedichte zu schreiben und ich habe gelernt, dass Gedichte Lieder sind, ohne Singen. Und es war nicht mehr nötig Musiker zu werden, ich schreibe nur. Die Gedichte erzählen sich selbst. Die Gitarre ist verbrannt.
UW: ooooh…
SK: Ja.
UW: Nun sind Sie auch Drehbuchautor, Sie schreiben unter anderem Serien, sind das Ihre eigenen Geschichten, die Sie in Drehbücher umsetzen?
SK: Es sind alles meine Geschichten.
UW: Sie haben mal gesagt, das Leben eines Kinderbuchautors ist ein spannendes Leben. Was ist daran so spannend?
SK: Man sitzt zuhause, und man schreibt, das ist wirklich sehr spannend. Ich kenne nicht viele Leute, die das machen. Das ist zu spannend.
UW: Edward, Sie behandeln in Ihren Büchern die kleinen, großen Themen des Lebens: Familie, Großvater-Enkel-Liebe in „Großvater, Kleinvater“, Angst, oder auch der Mut anders zu sein in „Die Taube, die sich nicht traute“, dann Alltagsszenen in „Superguppy“. Wie vollzieht sich bei Ihnen ein Schreibprozess? Was ist zuerst da und wissen Sie immer sofort, wenn Sie eine Idee haben, das wird ein Gedicht, das wird ein Roman… Wie ist das?
EV: Ich habe eigentlich eine Sucht nach Geschichten erfinden. Nicht so sehr nach dem Schreiben, das finde ich ganz schwierig und langweilig und nicht so abenteuerlich, aber geschrieben zu haben ist ganz schön. Aber das Erfinden, das ist so schön, das mache ich eigentlich auch den ganzen Tag. Ich laufe herum, sei es hier oder in Holland, und denke, könnte ich das vielleicht benutzen. Ich habe ein Regal in meinem Kopf von ca. 10 oder 12 Büchern, die ich noch schreiben will, und manchmal passt so eine Idee dazu. Ich habe ein Regal, ich habe eine Idee, ich denke, das passt, das passt nicht, es ist eine Sammlung. So weit habe ich noch nie gedacht, aber ja, danke für die Frage.
UW: Sjoerd Kuyper, „Robin und Schnuff“ das sind 60 kurze Vorlesegeschichten für Kindergartenkinder, erzählt aus der Perspektive des kleinen Robin, im Mittelpunkt steht die Familie. Da geht es zum Beispiel um die Schwangerschaft der Mutter, aber auch um so etwas wie die Gottesfrage, die mit dem Großvater diskutiert wird. In der Anthologie zumindest ist das so fortlaufend erzählt durch die Jahreszeiten hindurch Frühling, Sommer, Herbst und Winter, das ist das eine. Und auf der anderen Seite stehen solche Romane für Jugendliche. Das ist in Deutschland eher ein bisschen ungewöhnlich. Entweder schreibt jemand Geschichten für kleinere oder er schreibt Jugendromane. Sie bilden da ja schon ein breites Spektrum ab.
SK: Jedermann in den Niederlanden schreibt alles.
UW: Das ist mir jetzt auch aufgefallen, dass es in den Niederlanden mehr ein Genremix ist. Wenn Sie auch Gedichte schreiben und Lieder.
Wenn Sie jetzt Geschichten schreiben für Kindergartenkinder, sind Sie da noch so nah dran oder sind es die Erinnerungen an die eigenen Kinder, die Problematiken die thematisiert in diesen Vorlesegeschichten vorkommen, das ist ja eine ganz andere Thematik als in einem Jugendbuch.
SK: Es kommt vom selben Herzen und vom selben Kopf, die Erfahrung, die hinter Robin steht, habe ich selbst erlebt, aber in den Dialogen habe ich von meinen Kindern geklaut. Es sind meine Abenteuer, aber die Dialoge meiner Kinder.
UW: Wie viel Autobiographisches spielt überhaupt eine Rolle in Ihren Geschichten?
EV: Für mich nicht so viel. Ich schreibe auch manchmal über einen wirklichen Jungen oder ein Mädchen, ich betreibe auch Recherche, ich mache das sehr gerne, aber ich schreibe nicht über mich selbst.
UW: Dadurch, dass Sie auch Drehbücher schreiben, Sjoerd Kuyper, würden Sie sagen, Sie haben dadurch einen stärkeren Bezug zum Dialog? Ist er sehr dialoglastig, ihr Roman? Macht Ihnen das mehr Spaß Dialog zu schreiben?
SK: Nein, das hat eine spezielle Entstehungsgeschichte. Ich wollte einen neuen Film schreiben, und hatte das Szenario und den ersten Entwurf fertig, und dann dachte ich, ich kenne diesen Jungen in dieser Erzählung nicht gut, vielleicht ist es klug sein Tagebuch zu schreiben, um ihn kennenzulernen. Und das habe ich getan, und das war so angenehm zu schreiben, es schrieb sich selbst. Und dann hatte ich ein Buch und noch ein schlechtes Szenario.
Sjoerd Kuyper liest einen Auszug aus „Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling“.
UW: Ein Sohn, ein Vater, ein Hotel, drei Schwestern, eine verstorbene Mutter, ein Herzinfarkt, Schulden , Stress – das ist die Kurzfassung für diesen Roman. Vor allem aber eine Geschichte über das große L (Originaltitel: Hotel de Grote L), L wie Liebe. Die erste Liebe, die zweite Liebe, …
SK: … ewige Liebe.
UW: Kind-Elternliebe, Eltern-Kindliebe, Geschwisterliebe, die sich erst noch entwickeln muss, Freundinnenliebe, Tierliebe, Mut zur Liebe, also Liebe in allen Schattierungen.
SK: Ja, und Looser.
UW: Es geht auch um den Tod vor allen Dingen. Was war die erste Idee zu dieser wirklich komplexen Geschichte?
SK: Wir wollten einen Film machen um ein weißes Hotel, das an Dünen steht. Die erste Idee war die schöne Lokation, die so schön zu Filmen war.
UW: Es geht in dem Roman sehr oft um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen und um die Unterschiedlichkeit zwischen Männern und Frauen. Zum Schluss gehen Sie ja soweit, ohne dass wir jetzt etwas verraten, da gibt es sogar eine Rollentauschszene. Kann man sagen, dass das Mann-Frau-Verhältnis ein ganz, ganz wichtiges Thema Ihres Romans ist?
SK: Ja, sehr. Es ist das einzige Thema in allen Büchern und Romanen: Romeo und Julia… es steckt in unseren Genen. Besonders in meinen Genen. Ich weiß, dass es schwierig ist für junge Jungen und Mädchen über ihre Erfahrungen zu erzählen, und zu sagen „Ich liebe dich“. Man zieht an den Haaren eines Mädchens, wenn man sie liebt. So traurig… und wenn man das Buch gelesen hat, dann gibt es nichts Trauriges mehr in der Welt.
UW: Edward, Sie haben eine literarische Form erfunden, die sogenannte Slash-Reihe, wollen Sie selber erklären, was das ist?
EV: Die Slash-Reihe ist eine Reihe von Büchern, wo es immer einen Autor gibt und einen Jugendlichen, der Jugendliche ist zwischen 17 und 23 Jahre alt, und der Autor interviewt und spricht sehr viel mit dem Jugendlichen. Die Jugendlichen haben eine spezielle Lebensgeschichte und danach schreibt der Autor einen Roman. Also keine Journalistik.
UW: Und so haben Sie „Der Glücksfinder“ geschrieben und gehört „Krebsmeisterschaft für Anfänger“, welches Sie ja auch mit einem Jugendlichen geschrieben haben, auch in diese Reihe?
EV: Es ist außerhalb der Reihe erschienen, aber es ist eigentlich auf die gleiche Weise entstanden.
UW: Wie gehen Sie bei der Recherche vor, wie finden Sie diese Jugendlichen? In diesem Fall ist es ein Junge, er ist ein Fußballspieler, er ist lebendig, er hat Freunde, und er erspürt einen Knoten am Bein und dann erfolgt die Diagnose Krebs, folgt die Behandlung, und wir gehen mit diesem Jungen durch diese Zeit seiner Krebserkrankung und wie er damit umgeht. Wie finden Sie diese Menschen, die sich Ihnen dann so öffnen, das Sie daraus eine Geschichte schreiben können?
EV: Ich habe den Jungen nicht gefunden, meine beste Freundin Bibi Dumon Tak, sie ist auch eine wunderbare Schriftstellerin, sie ist Roy begegnet. Sie sagte „Du hast keine Wahl, du musst Roy treffen und ein Buch über ihn schreiben.“ Und wenn Bibi das sagt, dann macht man das. Ich wusste damals nicht, ob Krebs mein Thema war, das war es eigentlich auch nicht, aber Roy war so fabelhaft, er ist so fantastisch, er ist ein Junge, der gut erzählen kann. Er hat gesagt: „Edward, wenn wir ein Buch machen, dann machen wir ein anderes Buch, ich will nicht der Held sein, es soll so ehrlich sein wie möglich.“ Und das ist es.
UW: Es ist ein zutiefst humanistisches Buch, ein Buch, das wahnsinnig wichtig ist, weil es zeigt, das die Krankheit nicht nur die Person hat, sondern die ganze Familie, die ganzen Freunde, die Krankheit legt sich im Grunde genommen auf das ganze Umfeld.
Edward liest einen Auszug aus „Krebsmeisterschaft für Anfänger“.
UW: Wie wichtig ist Ihnen der Standort, wo Sie leben? Wie wichtig ist das Meer, wie wichtig ist Holland für Ihre Literatur?
SK: Ich glaube, es ist sehr wichtig für mich in Holland zu leben. Ich bin dort zuhause, und ich kann nur zuhause schreiben. Holland ist mein großes Haus, und mein Haus ist mein kleines Haus.
UW: Hat das Meer einen Einfluss?
SK: Ich habe immer am Meer gelebt, es muss so nah wie möglich sein.
EV: Selbstverständlich liebe ich Holland, es ist sehr nah an Flandern, und sehr nah an Paris, wo ich eine Zeit lebe, und auch sehr nah an Berlin, ich liebe Berlin, und dieses Buch ist fast komplett in Berlin geschrieben.
UW: Ich danke Ihnen beiden Sjoerd Kuyper und Edward van der Vendel, ich danke Ihnen Gast zu sein auf dieser Bühne mit Ihrer wunderbaren Literatur, ich danke Ihnen Eva B.
Hallo und guten Tag,
Danke für diesen ausführlichen Bericht über die Hauptländer der FBM.
Davon gab es auf den Blogs, meiner Meinung viel zu wenig Berichte.
LG..Karin…
Danke für die Rückmeldung, da freue ich mich doch sehr, dass ich diese Lücke ein wenig schließen konnte :)
Ich fand es auch sehr schade, dass ich auf anderen Blogs fast nur Berichte zu Neuerscheinungen oder Bloggertreffen gefunden habe.
LG Anette
Hallo und guten Tag,
also ich bin die Karin und habe gerade den Kommentar wegen den Hauptländern auf der FBM verfasst
LG..Karin..
Das ist wirklich interessant! Von all den Büchern habe ich bisher nur "Gips" gelesen, aber da klingt ja noch mehr interessant … :)
Ich habe alle 4 gelesen und sie sind durchweg empfehlenswert :) Von Anna Woltz kommt übrigens im Frühjahr ihr erstes Jugendbuch auf Deutsch raus und von Simon van der Geest gibt es Nachschub bei Thienemann, die beiden Titel werde ich wohl auch wieder lesen.