Redakteur: Anette, Ina und Julia
Libba Bray im Interview zu ihrem neuen Roman „The Diviners – Aller Anfang ist böse“ erschienen bei dtv.
Deutsche Übersetzung des auf englisch geführten Interviews während der Frankfurter Buchmesse.
Deutsche Übersetzung des auf englisch geführten Interviews während der Frankfurter Buchmesse.
Warum hast du dich entschieden, über die 1920er Jahre zu schreiben? Ich muss zugeben, dass ich nie über dieses Jahrzehnt nachgedacht habe, ich wusste nichts darüber.
Ihr müsst wissen, die 1920er sind ein Jahrzehnt, das mich schon immer fasziniert hat, weil es eine einzigartige Periode ist. Eine sehr bunte und faszinierende Zeit. Auf der einen Seite diese Art von Non-Stop-Party. Diese Non-Stop-Party war die Reaktion auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs und auch auf das Alkoholverbot – die Prohibition. Auch die Musikkultur des Jazz, vergleichbar mit Hip-Hop in den 1980er Jahren. Es veränderte alles, nicht nur die Musik, es ist die Kultur, in einer Weise ist der Jazz eine Revolution. Man hatte den Jazz, die Flüsterkneipen-Kultur und den Anstieg der organisierten Kriminalität. Denn das ist es, was so ein Verbot mit sich bringt. Frauen bekamen gerade das Wahlrecht. Es war auch der Beginn einer Teenager-Kultur in vielerlei Hinsicht. Es ist eine Jugendkultur, sodass anstelle von Jugendlichen, die zu ihren Eltern aufschauen, Eltern ihren Teenagern nacheifern, denn jetzt ist es irgendwie diese Jugendkultur und diese Harlem Renaissance, aus denen all diese erstaunlichen Schriftsteller und Afro-Amerikanischen Schriftsteller hervor kommen. Wir betrachten am liebsten die auffälligen und glänzenden Seiten der 1920er, aber es gibt auch dunkle Dinge, die in dieser Zeit passiert sind, eine Menge davon. Es ist dieser Anstieg an Nativismus, dass bestimmte Ansichten fest verankert sind, irgendwie sehr unangenehm. Die Amerikaner beschäftigen sich nicht gerne mit diesem Teil ihrer Geschichte. Es geht um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Plötzlich gab es eine Gegenbewegung zur Immigration, eine Kritik gegen die Multikultur. Die Prohibition war eine Reaktion auf all das, da die Leute nicht dazu neigen, auf die positiven Dinge zu achten. Es war eine Abstinenzbewegung, die die Leute vom Trinken abhalten sollte. Aber warum war es ihnen so dringend damit, die Leute vom Trinken abzuhalten? Zum einen wäre es besser für die Gesellschaft, die Reformer sagten „Oh, betrunkene Personen sind schlecht für unseren Ruf, diese Menschen sind nicht wie wir, wir müssen diesen Aspekt in unserer Kultur ausmerzen.“ Dinge wie diese faszinieren mich, weil sie auch einen wirklich schlechten Einfluss auf die Gesetzgebung hatten. In einer Art infiltrierte die Prohibition das amerikanische Leben. Buch zwei, an dem ich aktuell arbeite, beschäftigt sich mit der Gesetzgebung, der Ausgrenzung der chinesischen Kultur und der Einwanderer, der Diskriminierung von Asiaten und asiatischer Kultur jeglicher Art. Asiaten war es nicht erlaubt, amerikanische Staatsbürger zu werden. Sie wurden auf Grund ihrer Rasse ausgeschlossen von der Gesellschaft. Das begann im Jahr 1882, kam erneut im Jahr 1902 auf und auch in der folgenden Zeit immer wieder. Die Einschränkungen wurden größer. Warum wurde trotzdem mit dieser Big Party weitergemacht? Die ganze Art der Gesetzgebung war wirklich hässlich. Ich war davon total fasziniert – in diesen dunklen Phasen der amerikanischen Geschichte wurden wir in der Schule nicht unterrichtet. Das war sehr interessant für mich und gibt Einblick in die Art, wie die Amerikaner sich selbst entschuldigen. Wir möchten, dass wir nur als die guten Jungs gesehen werden, wie die Cowboys beispielsweise. Und doch, wenn man sich unsere Geschichte genau ansieht, dann gibt es eine Menge offensichtliche Dinge die geschehen sind, allein der Anfang, als wir in dieses Land eingewandert sind und Völkermord an den Indianern begangen haben, die Sklaverei und ähnliche Sachen. Aber … das ist eines der Dinge, die ich finde faszinierend finde in diesem Zeitraum. Man hat auf der einen Seite diese große, immerwährende Party, alles geht, alles ist glänzend und Glamour, es geschehen eine Menge toller Dinge, wir haben Jazz und die Harlem Renaissance, wir haben das Wahlrecht für Frauen durchgesetzt, alles toll, aber auf der anderen Seite steht dieses „The business of America is business“, in dem es viel um Amerikas Konzerne geht, diese Mentalität des „anything goes“ bis es zum finanziellen Kollaps kommt. Die Kluft zwischen Wohlhabenden und Armen war selten breiter. Das war eine wirklich lange Antwort, tut mir leid.
Kein Problem. Wie hast du Recherche für dein Buch betrieben, über das Internet oder hast du Museen besucht, die sich mit diesem Jahrzehnt beschäftigen?
All das oben Genannte. Ich begann, Bücher zu lesen, viele verschiedene Bücher, ich bin sie alle durchgegangen und habe nachgesehen, was ich davon gebrauchen konnte. Und dann ging ich in die Bibliothek. Es ist immer gut, eine Bibliothek und Freunde zu haben, und ich ging zu Orten wie es in New York heißt, dem „Transit Museum“. Also ging ich in das Archiv des Museums und sah mir die alten Fotos von U-Bahnen an, die in den 1920er Jahren gebaut wurden, und ich sah mir auch an, wie die Straßen damals aussahen, ich studierte alte U-Bahn-Karten und alte U-Bahn-Wägen. Ich kontaktierte zwei verschiedene Historiker, die mich auf historische Führungen mitnahmen, eine auf der Lower East Side, eine in Harlem. Wir sprachen darüber, wie viel und wo sich etwas seit den 1920er Jahren geändert hatte. Ich ging in das Radio und Fernseh Museum in New York, ich glaube, es heißt jetzt „Paley Center“. Ich hörte alte Radiosendungen aus den 1920er Jahren, einschließlich Broadcast, als Lindberg in den Staaten landete. Eine Menge Sachen habe ich im Internet gefunden… Wenn ich darüber nachdenke, welche Schlüsse jemand ziehen würde, wenn er sich meinen Suchverlauf ansehen würde… Ich recherchierte Serienmörder. Ich ging nach Salem, um mich dort im Museum umzusehen, weil es dort eine Menge Informationen zu früher Hexerei und ähnlichen Dingen gibt. Und ich heuerte einen professionellen Rechercheur an. Also, wenn ich irgendetwas suchte, konnte ich Lisa Gold fragen. Manchmal gibt es Dinge, die man nur schwer auf eigene Faust findet und so konnte ich sie anrufen und fragen, ob sie mir etwas über leichte Mädchen erzählen konnte. Ich wollte gerne von den Mädchen direkt hören, wie ihr Leben ist. Und sie fand für mich welche, die ich befragen konnte. Das war wirklich interessant. Ich mag die Recherche. Und die Sache ist, es war ein großer Spaß, als ich das illegale Glücksspiel „Running Numbers“ erforschte. Weißt du, was das ist?
Ja, seit ich das Buch gelesen habe.
Als ich für den ersten Band recherchierte, stieß ich auf einen Blog namens „Digital Harlem“, der von vier Australier betrieben wird. Einer der Jungs hat ein Buch mit dem Titel „Playing the numbers – Gambling in Harlem between the wars“ geschrieben. Ich habe es mir besorgt und es gelesen. Dann fand ich heraus, dass er für drei Tage an die Columbia University kommen würde, um einen Vortrag zu halten. Ich habe mir ein Ticket besorgt für seine Vorlesung und konnte dort mit ihm reden. Das war wie „Ich habe Glück“. Ein absoluter Glücksfall.
Also hast du sehr viel Zeit mit Recherche und der Ausarbeitung aller Details verbracht.
Eine Menge Zeit, und ihr müsst wissen, man weiß eigentlich nie, was man alles wissen muss, bis man herausfindet, dass man es für das Buch braucht. Wie … oh, wartet eine Minute, es war, als ich diese Szene schrieb: Sie fuhren mit dem Auto und es regnete. Irgendwas war mit den Scheibenwischern. Moment … wie arbeiten Scheibenwischer überhaupt? Und das passiert die ganze Zeit, wenn man schreibt. Es ist wie bei dieser Stelle. Ich will einfach nur schreiben, dass sie auf der Straße fahren, aber für diese Szene muss ich herausfinden, wie Scheibenwischer funktionieren. Es geht darum, dass die Scheibenwischer auf Grund eines Vakuums manchmal stecken bleiben und man muss herübergreifen und sie wieder befestigen. Nur für den Fall, dass es jemals ein Quiz geben wird, wie Scheibenwischer in den 1920er Jahren arbeiteten. „Bitteschön.“
Es gibt wirklich viele Charaktere in dem Buch. Gibt es einen, der dir besonders viel bedeutet? Ich muss zugeben, ich war ein wenig verwirrt am Anfang, weil es so viele Menschen waren, und nicht alle von ihnen haben eine große Rolle in dem Buch. Ich denke, das wird in zwei Buch noch kommen, aber so viele Menschen und so häufiges Hin- und Herswitchen von einem zum anderen …
Es gibt eine Menge Head-Hopping, wie wir es nennen. Auch für mich ist das schwer, denn es gibt so viele Charaktere und ich muss herausfinden, wie man einen bestimmten Teil der Geschichte in einen bestimmten Teil des Buches integriert. Und dabei muss ich berücksichtigen, was noch kommen wird, was schon geschehen ist und Einfluss hat auf all diese Charaktere, ihre Hintergrundgeschichten, ihre Gefühle, was sie umtreibt, ihre Beziehungen zueinander. Es ist wie eine Inszenierung. Und tatsächlich, das ist der Hauptgrund, warum es mich so viel Zeit kostet, Teil zwei fertigzustellen, weil ich herausfinden muss, wie alle Charaktere aufeinander treffen. Es bringt mich um, was habe ich mir dabei gedacht? Wisst ihr, ich habe immer Stephen King geliebt, seine Horrorgeschichten. Ich habe „Brennen muss Salem“ nochmal gelesen und war wieder erstaunt, dass so zahlreiche Personen in der Geschichte vorkommen und man sich als Leser trotzdem nie verloren fühlt. Es ist erstaunlich, wie er einem die ganze Geschichte eines Charakters in einer bis vielleicht anderthalben Seite vermitteln kann. Ich sage manchmal meinen Studenten, lasst uns das Buch mit den Augen eines Schriftstellers lesen und hinterfragen „Wie macht er das? Wie funktioniert das?“ Ich versuche aufmerksam den Weg zu gehen, den er gegangen ist. Hoffentlich funktioniert es, aber es ist anspruchsvoll, du hast Recht. Es verlangt eine bestimmte Art von Aufmerksamkeit, weil ich hier bin und da und da und dort und hier … Es ist hart für mich. Und ich fühle mit allen. Ich denke, dass zu verschiedenen Zeiten verschiedene Charaktere wichtig sind, wie offensichtlich Memphis und Evie im ersten Buch. Und im nächsten Buch, ist es Henry, ein Charakter, auf den man in Buch eins bloß einen Blick erhascht, und das wird eine große Rolle in Buch zwei. Die zweite ist ein Charakter in China Town, sehen wir sie atemlos, sie ist eine Bedienung, ihr Name ist Ling und sie wird sehr wichtig in Buch zwei. So sie und Henry … das ist eines der Dinge, die es schwer macht, dass sie alle zusammen kommen. Noch ist es nicht soweit. Wegen der Rassenunterschiede, den unterschiedlichen Gesellschaftsklassen und der Geschlechterfrage, muss einiges überwunden werden, um all diese Charaktere zusammen zu bringen. Und ich denke wirklich sehr stark darüber nach, denn Buch zwei beschäftigt sich ausführlich mit diesen Dingen. Sie müssen nach und nach aufeinandertreffen.
Viele von ihnen sind einander schon begegnet, aber sie wissen nicht, warum. Die meisten von ihnen sind im ersten Buch aufeinander getroffen. Wann wird der nächste Band erscheinen?
In den Staaten soll er im April herauskommen. Ich schrieb sogar im Flugzeug, ich schrieb in meinem Hotelzimmer gestern, ich schreibe die ganze Zeit.
Wie viele Bände sollen es werden?
Vier. Vier große Bücher. Sehr laaaaange Bücher.
Kennst du die Serie „Boardwalk Empire“?
Ja, aber ich wollte sie mir nicht ansehen, weil ich Angst hatte, dass sie mein Schreiben beeinflusst. Der Schauspieler, Steve Buscemi, lebt in meiner Nachbarschaft. Hin und wieder treffe ich im Bagel Shop Steve Buscemi, wenn er seine Bestellung aufgibt… Aber ich würde die Serie gerne sehen, denn es ist genau das Thema, das ich liebe. Aber da war einfach zu viel Angst vor der Beeinflussung.
Also beende schnell die vier Bücher und schaue dir „Boardwalk Empire“ an!
Bis dahin werde ich eine Gehhilfe benötigen und 82 sein …
Nein, ein Buch pro Jahr schaffst du doch!
Ich denke, sie werden im Abstand von zwei Jahren erscheinen. Es ist die Recherche, die Inszenierung des Schreibens. Aber eine interessante Anmerkung: während Band zwei habe ich große Stücke von Buch drei geschrieben. Das passiert, wenn man versucht herauszufinden, wie eine Sache funktioniert, die von einem Band in den nächsten übergreift.
Der vierte wird wohl der härteste der vier Bände für dich werden mit rund 1000 Seiten, da muss ja letztendlich alles hinein?
Oh Gott. Ja, ich wäre nicht überrascht, wenn es eine Trennung von Buch vier in ein viertes und fünftes Buch geben wird. Weil ich mir vorstelle, dass es noch sehr viel zu erzählen gibt. Es ist lustig, weil ich weiß, in meinem Kopf sind so viele Dinge, die meinen noch passieren zu müssen, aber ich muss sehen, ob sie tatsächlich geschehen werden oder nicht. Manchmal will man etwas schreiben, aber dann muss man erkennen, dass der Raum für das Geschriebene nicht ausreicht. Oder wenn ich zehn Bücher schreiben würde, gäbe es den Raum dafür. Manchmal komme ich auch durch die Recherche auf etwas, worüber ich wirklich gerne schreiben würde, aber dann merkt man, dass bringt die Geschichte überhaupt nicht vorwärts. Ich würde sagen, das härteste Buch ist Band zwei. Als ich das erste Mal eine Trilogie geschrieben habe, habe ich gemerkt, wenn ich im ersten Teil etwas falsch inszeniert habe, dann beißt es mich in Buch drei. Ich merke nun, dass ich mich selbst stoppe – wenn ich diese Wahl jetzt treffe, was wird dann in Teil vier passieren? Aber manchmal muss man einfach damit leben.
Wie gefällt dir das Cover der deutschen Ausgabe? Es ist wie eine Mischung aus den Filmcovern von The Great Gatsby und Metropolis.
Oh, ich mag es wirklich sehr. Tatsächlich habe ich mir Metropolis noch einmal angesehen, bevor ich mit diesem Projekt anfing.
Was ist mit der amerikanischen Version?
Auf dem Original Hardcover sieht man eine alte Skyline von New York und ein Augen-Symbol in der Mitte und ich liebte es. Und dann änderte der Verlag es für das Paperback, ich denke, um es etwas kommerzieller zu gestalten, aber diese Version mag ich nicht so gerne. Ich bevorzuge die Gestaltung des Hardcovers.
Vielen Dank für das interessante Gespräch und noch eine gute Zeit auf der Buchmesse.
Vielen Dank, euch auch.
© Interview: Julia und Ina, Übersetzung: Anette und Ina