Autor: Sam Hawken
Illustrator: -/-
Übersetzer: Joachim Körber
Verlag: Tropen
Reihe: -/-
Ausführung: Hardcover, 317 Seiten
Sam Hawken, 1970 in Texas geboren, lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in der Nähe von Washington D.C. Er studierte an der Universität von Maryland und steuerte eine Karriere als Historiker an, bevor er sich dem Schreiben widmete. „Die toten Frauen von Juárez“ ist sein erster Roman.
DIE TOTEN FRAUEN VON JUÁREZ
Inhalt:
In seinem Debüt „Die toten Frauen von Juárez“ greift Sam Hawken auf reale Hintergründe zurück. In Juárez werden seit 1993 über 400 Frauen vermisst oder wurden vergewaltigt und tot aufgefunden. Vor diesem realen Geschehnissen erzählt Sam Hawken aber nicht die Geschichte der betroffenen Frauen, sondern die Geschichte der Männer, denen ihre Freundinnen, Frauen oder Töchter durch diese Gräueltaten genommen wurden.
Das Geschehen spielt sich in der Boxerszene und im Drogenmilieu Mexikos ab, die durch den abgehalfterten Boxer Kelly Courter repräsentiert werden. Kelly stammt aus den Vereinigten Staaten und verdient sich sein Geld in Mexiko durch fragwürdige Boxkämpfe und durch Drogenverkäufe für Estéban, Dealer und Bruder seiner mexikanischen Freundin Paloma. Mit den toten Frauen von Juárez wird jeder in der kleinen Stadt konfrontiert, gehört es doch zum täglichen Erscheinungsbild der Gemeinde, dass unzählige Flugblätter und Anzeigen auf Strommasten Gerechtigkeit für die vermissten Frauen fordern und nach Vergeltung schreien!
Als Paloma verschwindet, wird Kelly nicht als leidender Angehöriger involviert, der einen Verlust zu verkraften hat. Man hängt ihm als Weißen die Misshandlung und den Mord an seiner mexikanischen Freundin an, seinen wiederholten Unschuldsbeteuerungen schenkt keiner Gehör, er wird misshandelt und krankenhausreif geprügelt, denn an der eigentlichen Wahrheit ist in Wirklichkeit niemand interessiert. Auch dieser Fall scheint den Falschen und damit Unschuldigen angehängt zu werden, wie die ganzen Fälle zuvor, bis ein mexikanischer Polizist, Bekannter Kellys und in der Vergangenheit selbst Angehöriger eines der Opfer, versucht Licht in das Dunkel zu bringen.
Kritik:
Sam Hawkens Erstlingswerk ist in die vier Abschnitte „Bolillo“ (der Gringo / der Weiße), „Sospechoso“ (der Verdächtige), Padre (der Vater) und Justicia (die Gerechtigkeit) unterteilt. Obwohl einige spanische Wörter im Zusammenhang der Geschichte selbsterklärend sind, hätte ich mir an manchen Stellen – auch bei den Benennungen der vier Abschnitte – eine deutsche Übersetzung (beispielsweise als Anhang des Buches) gewünscht, denn durch wechselnde Perspektiven ist die Geschichte ab und an verwirrend genug, so dass mich das unbekannte spanische Vokabular nur noch mehr aus dem Lesefluss gerissen hat. Gerade bei der Titulierung der Buchteile finde ich die Übersetzung sehr wichtig, da sie den Verlauf und die Perspektiven der Geschichte beschreibt, und im Gegensatz zu Padre oder Justicia ist es nahezu unmöglich direkt auf die Bedeutung von „Bolillo“ zu kommen, da dies anscheinend ein umgangssprachlicher Ausdruck ist, auf den ich nur durch Recherche gestoßen bin.
So sehr ich Episodenfilme und -romane liebe, muss ich der Geschichte von Sam Hawken in dieser Hinsicht leider einen Minuspunkt erteilen. Durch den Wechsel der Hauptprotagonisten leidet der Erzählfluss und ich fühlte mich beim Lesen manchmal so, als hätte ich genau wie der drogenabhängige Boxer Kelly einen Filmriss erlitten und wichtige Details der Geschichte verpasst. Unter anderem ist es auch diesem Umstand zuzuschreiben, dass mir kein näherer Zugang zu den Charakteren möglich war. Schreiben kann Sam Hawken auf jeden Fall, dass beweist er besonders in den ersten beiden Teilen des Romans, in denen er durch anschauliche und greifbare Beschreibungen richtiggehend Bilder der Umgebung vor Augen erscheinen lässt. Ich konnte den Strommast mit den Zetteln, die von den vermissten Frauen erzählen, beinahe anfassen, die Atmosphäre bei den Boxkämpfen spüren, sowie die Hitze Mexikos fühlen, nur mit seinen Charakteren gelingt ihm dieser hautnahe Zugang zu seinen Lesern nicht und damit verschenkt er notwendiges Potential, das „Die toten Frauen von Juárez“ zu einem ganz großen Debüt und Pageturner hätte machen können!
Aufmachung:
Obwohl das Buch nicht zum Zeitpunkt des „Los Días de Muertos“, dem mexikanischen Totenfest, spielt, finde ich das Titelbild sowohl passend zum Schauplatz als auch zur Geschichte gewählt.
Fazit:
Sam Hawken beweist mit seinem Debüt, dass in ihm ein großer Erzähler steckt und er verknüpft realistische Hintergründe und fiktive Inhalte gekonnt. Leider enthält sein Erstling Perspektivwechsel mit zu kantigen Übergängen und Stolpersteine in der Dramaturgie, so dass sich leider kein durchgängiger Spannungsbogen von Anfang bis Ende aufbauen kann.
Weitere Infos:
Wikipedia: Frauenmorde von Ciudad Juárez
Ich habe es gestern in einem Rutsch gelesen. Irgendwie dachte ich auch, dass man da noch dreihundert Seiten einfügen könnte, fand es aber trotzdem gut. Na ja, die Rezension muss ich noch schreiben. Hast du es auch über die Bilandia-Aktion bekommen?
LG
Ja, ich habe es auch von Bilandia bekommen.
Ich fand das Buch auch wirklich nicht schlecht, der Mann schreibt toll! Nur dafür, dass er am Anfang das Milieu so detailliert schildert und wirklich eine tolle Atmosphäre aufbaut, plätschert der Schluss zwar nicht dahin, aber er hätte ihn auf jeden Fall mehr ausführen und spannungsgeladener gestalten können. Im Vergleich zum Anfang ist der Schluss leider ein bisschen abgesackt.
Das stimmt allerdings.