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[REZENSION] Holmes, Jeremy – Eine alte Dame schluckte ‘ne Mücke

Jeremy Holmes
Eine alte Dame schluckte ‘ne Mücke
Verlag: Knesebeck
18 Seiten
ISBN-10: 9783868732467
ISBN-13: 978-9783868732467
empfohlenes Lesealter: 6-7 Jahre

 Eine alte Dame schluckte ‘ne Mücke.
Im Magen fand sie Platz in ‘ner Lücke.

Sie schluckte die Mücke, ganz ohne Not.
Vielleicht ist die Dame bald tot.

Im Stil von “Ich packe meinen Koffer und nehme mit…” erzählt Jeremy Holmes in diesem außergewöhnlichen Bilder-(Leichen-)Schmaus von einer alten Dame, die zunächst eine Mücke schluckte, danach eine Spinne, im Anschluss ‘nen Reiher bis hin zu einem Pferd, aber war es das wert? Für den Betrachter dieses kleinen Bilderbuchkunstwerks auf alle Fälle! Die Dame ist am Ende des Buches allerdings tot. Grundlage von Jeremy Holmes Bildergeschichte ist der klassische englische Kinderreim “There was an old lady”.
Zunächst zieht man der alten Dame ihren Mantel – beziehungsweise den Schuber – aus, um ihr in den Magen gucken zu können. Die Illustrationen wirken alt und vergilbt. Fast meint man mit der alten Dame in ihrem kleinen Häuschen zu sitzen und das leise Ticktackticktackticktack ihrer Küchenuhr zu hören, während langsam ihre Zeit abläuft. Denn natürlich weiß man, was am Ende mit ihr passieren wird, und so macht der Verlag auch direkt auf Vorder- und Rückseite des Schubers auf ein besonderes Gimmick dieses Buches aufmerksam: blättert man die letzte Seite der Bilder- und Reimegeschichte um, schließt die alte Dame ihre Augen. Das Ende der Dame vorweg zu nehmen finde ich durchaus in Ordnung. Zum einen weiß man, dass man zwar eine Mücke, aber kein Pferd ohne ernste Nebenwirkungen verschlucken kann und zum anderen kann sich ein potentieller Käufer so bereits über die Verpackung ein Bild von der Geschichte machen, da möglicherweise nicht jedes Kind im empfohlenen Lesealter den Witz dieser makaberen Reimerei verstehen wird. Wer die Geschichte jedoch nicht für ein Kind kaufen will, sollte getrost für sich selbst zugreifen, denn die liebevollen Details sind faszinierend: der mantelartige Schuber, die in Spotlackoptik hervorgehobenen Details wie Lippen und Schuhe der alten Dame, die aufklappbare Seite mit dem großen Stier gegen Ende der Geschichte, die gedrittelte Aufteilung in Bilderbuch und festen Körper oder die Schiebetechnik mit den auf- und zuklappbaren Augen. Ich fühlte mich beim Betrachten und Ausprobieren wie ein kleines Mädchen und konnte gar nicht genug davon bekommen die Dame An- und Auszuziehen und die Augen klappern zu lassen. Die Reime trägt man am besten laut vor, so kommen der schwarze Humor und der Wortwitz am besten zur Geltung.
Der Körper der alten Dame besteht aus einer harten Pappe, in deren Mittelteil das Buch integriert ist. Im Kopf sind die auf- und zuklappbaren Augen integriert, der Beinteil ist ohne Funktion. Auf der ersten Seite trägt die Dame noch ihr Handtäschchen spazieren, doch kurz darauf verschluckt sie ‘ne Mücke und das makabere Spiel nimmt seinen Lauf. Auf jedem Bild sind im Hintergrund ein stilisierter Speiseröhrenansatz und der Magen zu sehen. Die Illustrationen sind zwar kindgerecht, verströmen aber dennoch einen morbiden Charme. Dieser ist zumeist in kleinen Details zu finden. So schmückt die Mücke – der Stein, der alles ins Rollen gebracht hat – den Kettenanhänger der alten Dame, am unteren Rand eines Bildes sieht man blanke Knochen hervorlugen, die dicke fette Spinne glotzt aus vielen Augen dem Leser direkt ins Gesicht und zu ihren Füßen liegt ein Totenkopf. Der Gruselfaktor wird jedoch beispielsweise durch eine Krawatte um den Hals der Spinne oder die Cowboystiefel an den Füßen des Reihers abgeschwächt und sogar ins Lächerliche gezogen. Die Bilder haben trotz ihres recht kleinen Formats eine solche Aussagekraft, dass sie, um die Geschichte der alten Dame zu erzählen, keinen Begleittext bräuchten. Die Reime unterstreichen jedoch Jeremy Holmes einzigartigen Stil und verleihen den Illustrationen eine Stimme.
Ein außergewöhnliches bibliophiles Kunstwerk und eine Empfehlung für alle Leser von 6-99 Jahren, die auf schwarzhumorige Geschichten und altmodisches liebevolles Design stehen.

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