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[REZENSION] Allein unter Schildkröten

Titel: Allein unter Schildkröten (OT: sokeord: ayotzintli)
Autor: Marit Kaldhol
Illustrator: -/-
Übersetzer: Maike Dörries
Verlag: Mixtvision
Reihe: -/-
empfohlenes Lesealter: ab 14 Jahren
Ausführung: Klappenbroschur, 136 Seiten

Autor:
Marit Kaldhol ist eine norwegische Kinderbuchautorin. Sie arbeitete einige Jahre als Lehrerin und begann dann ihre künstlerisch-kreative Tätigkeit als Schriftstellerin. 1986 erschien ihr erstes Kinderbuch „Abschied von Rune“ (Originaltitel: „Farvel, Rune“), das bisher in zehn Ländern verlegt und mehrfach prämiert wurde. 2010 erhielt Marit Kaldhol für „Allein unter Schildkröten“ den Literaturpreis des norwegischen Kulturministeriums.

ALLEIN UNTER SCHILDKRÖTEN

Von allen Tieren ist der Mensch das einzige Lebewesen, das über seine Existenz nachdenkt. Der Mensch fragt nach dem Sinn des Lebens und denkt darüber nach, warum wir leben und dass wir sterben müssen. Der Mensch ist das einzige Wesen, das in der Lage ist, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, das sich bewusst ist, dass wir eine reelle Wahl haben. S.14

„Allein unter Schildkröten“ ist die Geschichte von Mikke. Die Studie eines Jungen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, zwischen Schule und Studium, Familie und der weiten Welt, Glücksgefühlen und unerklärlicher Traurigkeit.

Der Leser begleitet Mikke nur einen kurzen Abschnitt in seinem Leben. Von Anfang Februar bis Mitte Mai ist man hautnah an Mikkes Seite, indem man seine nahezu täglichen Tagebucheinträge liest, und dann ist Mikke nicht mehr. Er hat seine Wahl getroffen. Es ist wie bei den kleinen Meeresschildkröten, die zufällig im Meer herumschwimmen.. Manche schaffen es, manche nicht. Mikke hat es nicht geschafft…
„Allein unter Schildkröten“ ist kein Buch, das unterhalten will, sondern ein Buch über das Leben und den Tod, über den Sinn und auch den Unsinn des Lebens. Marit Kaldhol spuckt weder große Töne, noch bietet das Buch eine ausschweifende Rahmenhandlung oder große Aktionen der Protagonisten, vielmehr berührt sie durch den direkten Einblick in das Leben eines jungen Mannes und die Sinnlosigkeit seines frühen Todes. Der größte Schmerz für den Leser, den Tod Mikkes zu realisieren, liegt nicht in der Ungeheuerlichkeit seines Ablebens oder bildhaften Beschreibungen seines zu Tode kommens, sondern darin, dass Mikke einen so plötzlich zurücklässt, ohne, dass es dafür vorher eindeutig erkennbare Anzeichen gab und vor allem ohne Antwort nach dem Warum??? Mikke hat einen großen Freundeskreis, erlebt seine erste Liebe und sieht sich positiven beruflichen Zukunftsaussichten gegenüber, trotzdem ist er häufig von tiefer Traurigkeit und einer großen Einsamkeit erfüllt und zieht sich immer mehr in seinen Schildkrötenpanzer zurück.

Der kleine Porzellanjunge mit der schief sitzenden Kappe und dem weißen Kaninchen im Arm ist aus dem Regal gefallen. Der Kopf ist abgebrochen und unter die Kommode gerollt. Nicht das erste Mal. Beim letzten Mal hat Mama den Jungen wieder gekittet. S.59

Den ersten Abschnitt des Romans kann man als Leser noch mit einiger Fassung ertragen. Mikke erzählt in sein Tagebuch weder, das er sich umbringen will, noch das er depressiv ist oder das er sich einsam fühlt. Man ist nur Wegbegleiter während eines kurzen Stückchens seines Lebens, geht mit ihm in die Schule, recherchiert im Internet für den Biologieunterricht, erlebt mit ihm gemeinsam seine erste Liebe und irgendwann bleiben die Tagebuchseiten leer. Erst im Mittelteil des Buches muss man anfangen stark zu sein, wenn Mikkes Mutter von der Zeit nach seinem Tod und ihrer inneren Leere erzählt, aber auch von der Zeit als Mikke noch ein kleiner Junge war. Im dritten Akt kommen abschließend weitere Weggefährten Mikkes zu Wort: seine Freunde, seine erste große Liebe, der behinderte Sverre – der von Mikke betreut wurde, sein Ziehvater und sein leiblicher Vater. Alle versuchen mit dem tragischen Unglück fertig zu werden und von Mikke Abschied zu nehmen, in dem sie ihre Gefühle und ihre Abschiedworte schriftlich festhalten. In der Trauer können sie sich nur gegenseitig Halt geben, für den Tod Mikkes gibt es weder eine Erklärung, noch wird ihnen jemand ihre Briefe beantworten. Der einzige, der eine Antwort liefern könnte ist tot, Mikke ist tot.
„Allein unter Schildkröten“ bringt dem Leser die Themen Depression und Selbstmord näher. Authentisch und in der Ich-Perspektive des Betroffenen und seines Umfeldes erzählt, berührt Marit Kaldhol ihre Leser sehr stark und erklärt außerdem, dass sich diese Krankheit und ihr schlimmstes Ende nicht mit einem großen Paukenschlag ankündigen muss. Real von diesen Themen Betroffene können aus Marit Kaldhols Roman Anzeichen herauslesen, mit denen sich eine Depression ankündigen kann und generell werden hoffentlich viele Leser für diese Krankheit sensibilisiert! Nur sollte man sich vor der Lektüre im Klaren darüber sein, dass man mit dieser emotionalen Erschütterung fertig werden muss, ohne dass einen Antworten in ein warmes Nest aus Geborgenheit und Zuversicht zurückholen.

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