Interview

[INTERVIEW] Mario Fesler

Redakteur: Anette Leister

Mario Fesler, geboren 1978, war seine gesamte Schulzeit umgeben von cleveren und schlagfertigen Mädchen. Daher wusste er ziemlich genau, wie die Heldin seines ersten veröffentlichten Romans auszusehen hatte. Er lebt, arbeitet und moderiert nebenher Quizveranstaltungen in seiner Wahlheimat Berlin.
Für sein Debüt „Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“ wurde Mario Fesler beim Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 mit dem Preis als „Neues Talent“ ausgezeichnet.
„Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“ sowie der Nachfolgeband „Lizzy Carbon und die Wunder der Liebe“ sind im Magellan Verlag erschienen.
 
Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises, 13.10.2017
 
Diskussionsrunde mit den Gewinnern des diesjährigen Deutschen Jugendliteraturpreises, 14.10.2017

 

Auf der Frankfurter Buchmesse stand er mir Rede und Antwort rund um die beiden Abenteuer seiner Heldin Lizzy, wobei der zweite Band – „Lizzy Carbon und die Wunder der Liebe“ – im Fokus stand.

 

 

Das Leben macht es der dreizehnjährigen Lizzy nicht leicht: ein Körper, der tut, was er will, Eltern, die nichts kapieren, und Klassenkameraden, die abfällig auf sie und ihre beste Freundin Kristine herabgucken. Da macht das anstehende Schulfest die Laune nicht besser – denn da darf sie garantiert eh wieder nur die Gläser spülen. Als sie diesen Gedanken im falschen Moment laut ausspricht, hat sie plötzlich ihre eigene Projektgruppe mit allen Außenseitern der Unterstufe am Hacken. Doch schon bald stellt sie fest: Wenn so ein „Klub der Verlierer“ erst mal in Fahrt kommt, ist die Niederlage nicht so vorprogrammiert, wie alle denken…

 

Dass ihre Eltern sie nicht verstehen, ist Lizzy ja gewohnt (liegt vermutlich an der Spezies). Dass die beiden plötzlich auch kein Verständnis mehr füreinander haben, jedoch weniger. Als wäre die Ehekrise im Hause Carbon nicht schon genug, zeigt Lizzys beste Freundin Kristine ein verhängnisvolles Talent zu Missgriffen bei der Partnerwahl. Dann taucht auch noch der neue Mitschüler Dominik auf und stürzt Lizzy selbst in Liebeswirren. Da hat sie wirklich Glück mit ihrem Nachbarn Nils, einem Künstler, der vor Kurzem in ihr beschauliches Städtchen gezogen ist und sich bald zum Ratgeber in allen Lebens- und Liebeslagen für Lizzy mausert. Als Nils jedoch plötzlich nicht mehr erreichbar ist und Horrorbruder Max sich auch noch komischer als sonst verhält, muss Lizzy feststellen, dass die Wunder der Liebe ganz schön anstrengend sind.

Lieber Mario,

Wie kommt man als männlicher Autor dazu, sich eine weibliche Protagonistin auszusuchen?

Ich nehme immer das, was am besten zur Geschichte passt, und meine männlichen Figuren haben die Tendenz schüchtern, ruhig und passiv zu sein.
Wenn ordentlich etwas losgehen soll, dann sind es meistens Mädchen. Das liegt auch daran, dass ich als Jugendlicher hauptsächlich mit Mädchen unterwegs war und die waren meistens lustig und schlagfertig.

So hat sich wahrscheinlich Krissy in die Geschichte hineingeschlichen?

Krissy ist quasi ein Best of aus verschiedenen Mädels von damals, Lizzy auch, insofern fließt da einiges mit rein.

Damit erledigt sich meine nächste Frage fast, denn ich wollte wissen, ob die beiden Bücher auf Erinnerungen aus deiner Schulzeit basieren.
Gibt es Anleihen an frühere Freunde?

Da ist nichts 1:1 übernommen, sonst würden sich die früheren Freunde bedanken, aber es gibt schon für jeden einen kleinen realistischen Ansatzpunkt.
Wo es stärker ist, ist zum Beispiel die Schule, die ist 1:1 nachgebaut von meiner alten Schule, denn ich bin nicht so ein großer Setting-Erfinder, und da hilft es mir sehr, wenn ich den Ort schon einmal gesehen habe oder sehr gut kenne. Dann flutscht das leichter, bei den Figuren bin ich da freier und kann mir mehr selbst ausdenken.

Gab es schon Rückmeldungen von Mitschülern oder Lehrern, die meinten sich in einer Figur erkannt zu haben?

Meistens nicht sich selbst, sondern sie vermuten immer jemand anderen. Das kann ich dann bestätigen oder auch… nicht ;) Die Schule haben alle gleich wieder erkannt, die zur gleichen Zeit wie ich in die Schule gegangen sind.

Hattest du in deiner alten Schule schon eine Lesung?

Im November kehre ich an die Wirkungsstätte zurück, da freue ich mich besonders drauf.

War „Der Klub der Verlierer“ ursprünglich als Solitär angedacht? Man kann ihn ja sehr gut in sich abgeschlossen lesen, ohne dass etwas nachfolgen müsste.

Ja, ich habe nicht damit gerechnet, dass man bei einer Fortsetzung direkt zuschlagen würde, ich war erstmal froh ein Buch durch zu bringen, aber ich habe auch immer gedacht, dass Lizzy durchaus Serienformat hat, ich hatte auch schon die Idee für Band 2 und freue mich sehr, dass ich nun 3 daraus machen darf.

Der dritte ist schon eingedeckelt?

Genau.

Liest man darin dann auch mehr von Carsten aka Popelino?

Ich versuche alles, was angerissen ist – nicht zu einem völlig abgeschlossenen Ende zu führen – aber unter anderem kehren ein paar Figuren aus dem Klub der Verlierer zurück, die im zweiten Band in den Hintergrund gerückt sind, und ich versuche alles zumindest halbwegs rund abzuschließen.
Und ja, Carsten ist mit mein Liebling, der braucht seinen großen Auftritt.

Wie ist es von der Leserschaft? Ist sie sehr gemischt? Ich fand zum Beispiel – darauf komme ich später noch gezielt zurück – es waren gerade im zweiten Band einige Punkte, die mich gerade als Erwachsener sehr stark angesprochen haben emotional. Ich denke, Liebe ist ein Thema, das alle Altersklassen anspricht, und dann die Charaktere… – sowohl weiblich als auch männlich – damit kannst du ja überall Leserschaft finden.

Es sind schon hauptsächlich Mädchen, die Lizzy Carbon lesen, einfach weil Mädchen etwas lesefreudiger sind. Viele Mütter haben es total gerne gelesen, weil sich gerade Teenagermütter auch sehr darin wieder finden. Ansonsten bunt gemischt, ich kenne sogar Rentner, die es gelesen haben. Es kann jeder ran, das ganze Design ist halt sehr auf Mädchenbuch gemacht, das ist aber ganz reizvoll, weil es von außen viel harmloser aussieht als es innen drin ist.

Interview mit Mario Fesler, 13.10.2017 ©Natalie


Du sprichst sehr viele Arten von Liebe an in „Lizzy Carbon und die Wunder der Liebe“. Wie wichtig war es dir diese verschiedenen Seiten der Liebe, sei es familiär, die erste Liebe, gleichgeschlechtliche Liebe aufzuzeigen und ganz unterschiedliche Arten von Liebe in dem Buch unterzubringen?

Du hast es komplett erkannt, das war mein eigentliches Ziel. Mir ging es nicht darum, dass ich Lovestory, die 100.000ste erzählen wollte, sondern mir ging es tatsächlich darum möglichst einen breiten Querschnitt durch alles was Liebe so kompliziert macht zu zeigen. Was alles schief gehen kann, was richtig laufen kann.
Und irgendwie ist die Geschichte auch gegen den Strich gebürstet. Sonst hadert man mit der Protagonistin, dass sie die schwierigste Liebesgeschichte hat und das ist hier ja nicht der Fall. Lizzy hat die glücklichste und die schönste, das fand ich ganz reizvoll, und außen um sie herum alles zu gruppieren, was sonst noch in der Liebe laufen kann.

Eine Sache, die mich emotional sehr mitgenommen hat… wie du schon sagst, Lizzy darf die einfachste Art der Liebe erleben, ihr Freund und sie haben zwar auch ein Hindernis zu bewältigen in geographischer Hinsicht, aber sie können es überwinden.
Eine andere Liebesgeschichte, die in dem Buch vorkommt, ist am Ende aber zum Scheitern verurteilt. Ohne speziell auf diesen Fall einzugehen, um keine zukünftigen Leser der Geschichte zu spoilern, was denkst du, was so stark sein kann eine Liebe zu verhindern, selbst wenn man denkt, man hat den Menschen getroffen, nach dem man sein ganzes Leben lang gesucht hat? Dass man sagt, wir beide haben keine Chance?

Oh… Ich würde natürlich gerne sagen, Liebe schafft alles, aber ich glaube leider schon, dass eine wirklich schwere Erkrankung tatsächlich etwas ist, was eine Liebe zu sehr strapazieren kann. Der Regelfall ist eher, dass eine Liebe einschläft, und da ist es erstmal schwierig, sich das auch einzugestehen und zu gucken, dass man es trotzdem irgendwie gut hat mit dem Menschen, den man lange geliebt hat, aber ich glaube, es gibt durchaus Schicksalsschläge, die es an irgendeiner Stelle unmöglich machen, oder einen daran zerbrechen lassen, wenn man sich zu sehr auf die Liebe versteift. Das ist vielleicht nicht Sinn der Liebe, es kann ja auch ein großer Teil von Liebe sein, zu sagen, ich lasse dich gehen, um dich nicht weiter zu beanspruchen.
Es tut mir Leid, wenn ich dich damit so sehr getroffen habe.

Und das war nicht das einzige! Ich musste zwar nicht heulen, aber an ein oder zwei Stellen im Buch hätte das durchaus passieren können.
Was mich emotional nämlich noch mehr mitgenommen hat, weil ich das Buch auch aus Elternsicht aus einer zerbrechenden Beziehung heraus gelesen habe, ist die Krise zwischen Lizzys Eltern.
Ich habe ein paar Rezensionen gelesen, die nicht ganz positiv waren, von wegen die Eltern machen es sich zu einfach, warum trinkt der Vater, warum reden die beiden nicht mehr miteinander. Als Jugendlicher hätte ich den Fokus auch ausschließlich auf die Kinder gelegt und gedacht, wieso machen die Eltern das. Aber ich habe es nunmal nicht mehr aus dieser Situation gelesen, sondern ich habe es aus der Situation ihrer Mutter gelesen und mich manchmal geärgert. Nur weil ich eine Beziehung geführt habe, aus der Kinder hervorgegangen sind, bin ich doch nicht nur Mutter, nicht nur Elternteil für den Rest meines Lebens.
War das von dir beim Schreiben so beabsichtigt, dass man Verständnis für beide Seiten – Kinder und Eltern – aufbringen soll? Dass der Konflikt deutlich herauskommt, dass man nicht nur mit Scheuklappen auf die eine Seite sieht und Verständnis für sie aufbringt, sondern auch für die andere? Dass die Personen nicht nur Eltern und Kinder sind, sondern dass es viel mehr ist, was diese Menschen ausmacht, dass Eltern ein Recht darauf haben, aus einer zerbrechenden Beziehung herauszugehen und zu sagen, ich brauche etwas Neues, oder ich brauche jemanden Neues.

Ja, das Thema hat mich auch beschäftigt und mich haben die Kritiken in dieser Richtung beschäftigt. Zum Einen stört es mich, dass das so verurteilt wird, denn es ist nie einfach, und nein, es ist nicht schön, wenn man trinkt und sich in den Alkohol flüchtet, aber es ist nun einmal so. Ich will das dann auch nicht babyhaft kommentieren „Das macht man so aber nicht!“, er wird halt von einigen so gemacht. Es gibt eben Beziehungen, die auseinandergehen, und da finde ich eigentlich das interessantere, wie schafft man es dennoch weiterhin miteinander umzugehen.
Was mich noch geärgert hat, dass es Stimmen gab, wie es die Mutter wagen könnte die treibende Kraft zu sein… Ich glaube, es ist immer noch ein Hauptgrund für zerbrechende Beziehungen, dass es weiterhin viele Frauen gibt, die sich in einer Partnerschaft zurücknehmen müssen und das dann auch tun, und es dann vorgeworfen bekommen, wenn sie sich ein neues berufliches Standbein suchen, und vielleicht auch eine neue Partnerschaft, wobei das nicht zwangsläufig zusammenhängt. Der neue Mann ist hier sicher eine Stütze, aber wichtiger ist eher, dass sich Lizzys Eltern auseinandergelebt haben, sie haben nicht mehr miteinander geredet, es war keine lebendige Beziehung mehr. Dann haben beide Elternteile das gute Recht eine Partnerschaft zu beenden, ich muss nicht meine Kinder über alles stellen. Ich glaube, es gibt nichts Scheußlicheres als Eltern, die ihr ganzes Leben lang zusammenbleiben, damit sie den Kindern eine Stabilität bieten können, denn das ist nicht stabil für Kinder.

Aber es gibt leider viele, die sich das einreden oder sich das von anderen einreden lassen.

Natürlich muss man nicht bei jedem kleinen Streit über Trennung nachdenken, aber wenn es über längere Strecken nicht mehr zusammenpasst, ist es glaube ich viel unterstützender zu sagen, guckt, dass ihr einen guten Weg auseinander findet. Ich wollte eine moderne Familie zeigen, das war mir wichtig. Und zu einer modernen Familie gehört auch, dass die Eltern für sich eventuell nochmal neue Wege gehen, und das ist okay.

Die Kinder gehen ja auch irgendwann ihre eigenen Wege.

DAS sowieso, das müssen sie auch.

 

Lesung aus „Lizzy Carbon und die Wunder der Liebe“, 15.10.2017
 
Wird es zu Band 3 auch einen größeren Zeitsprung geben?

Nein. Das war mit den zwei Jahren schon an der Grenze. Da hat der Verlag nicht gleich JUCHHU geschrien, weil ein Jahr ist der klassische Abstand zwischen zwei Bänden. Das war mir an der Stelle aber wichtig, weil eine Beziehung sich ja nicht von jetzt auf gleich so runterfährt. Und auch dass Max und Lizzy jetzt ein Stück älter sind passt sprachlich einfach besser als im ersten Band.

Der dritte Band setzt direkt nach den Sommerferien ein, es wird relativ nahtlos weitergehen.

Was ich mich gelegentlich gefragt habe… Krissy kann einen ja schon in den Wahnsinn treiben. Was ist an so einer Type dran, dass es trotzdem die beste Freundin für jemanden ist?

Krissy ist wahnsinnig ehrlich, die Naivität, die sie hat, hat etwas sehr Unschuldiges. Das passt sehr gut zu Lizzy, die in Vielem ja sehr abgebrüht ist, dass so eine ehrliche Haut dazu kommt, die nicht dreimal darüber nachdenkt, was sie jetzt sagt. Das macht Lizzy zwar auch nicht immer, aber Krissy ist für mich so eine reine Seele, die man gut gebrauchen kann im Freundeskreis.

Wird es im dritten Band auch wieder ein neues Hauptthema – einen Untertitel – geben oder ist es die Weitererzählung über die Liebe, wegen dem nahtlosen Übergang?

Es gibt schon ein eigenes Unterthema, aber das möchte ich noch nicht verraten.

Es wird aber nicht mehr ganz so separat sein. Band 1 konnte man ja sehr gut alleine lesen, für Band 2 war es nicht zwingend nötig ihn zu kennen, bei Band 3 hat man aber den vollen Lizzy-Spaß, wenn man die beiden Vorgängerbände gelesen hat. Aber es gibt wieder ein eigenes Thema, was ich sehr reizvoll finde, dass eine eigentlich fortlaufende Geschichte in jedem Band ein eigenes Thema behandelt.

Hat dich der Erfolg überrascht?

Es hat mich total gefreut. Es hat mich überrascht, dass es so viel Kritikerlob gab. Ich hätte gedacht, dass Lizzy sehr schnell in die Schublade „Lustiges Mädchenbuch“ wegsortiert wird und keiner mehr darauf guckt. Aber das lag wahrscheinlich daran, dass das Thema Mobbinggeschichte stark herauskam.

Ist schon geplant, was nach dem dritten Band von Lizzy kommt?

Ja, es gibt sogar schon ein Manuskript, es geht in Richtung Kinderkrimi. Ich möchte vom Lesealter her nochmal zwei Jahre nach unten, da kann man irrsinnigeren Kram machen.

Aber bei Lizzy weiß ich auch nicht… Wenn ich in zwei Jahren nochmal sage, sie wird schrecklich vermisst… Mal schauen, ob ich dann nicht doch noch einmal zu ihr zurück kehre. Jetzt freue ich mich aber erst einmal auf ein Jahr ohne Lizzy, wir hatten eine gute Zeit zusammen.

Vielen Dank für das interessante Interview!

Tagged ,

1 thought on “[INTERVIEW] Mario Fesler

  1. Hallo Anette,

    Danke für das geführte Interview mit dem Autoren Mario Fesler.
    Schön das der Magellan-Verlag seine Bücher herausbringt.

    Denn der Verlag ist nicht so weit weg von meinem Wohnort beheimatet.

    LG..Karin..

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert