Autor: Francesc Miralles
Illustrator: -/-
Übersetzer: Esther Fischer
Verlag: Loewe
Reihe: Band 1
empfohlenes Lesealter: 13-16 Jahren
Ausführung: Klappenbroschur, 352 Seiten
Francesc Miralles, 1968 in Barcelona geboren, ist ein großer Fan düsterer und unheimlicher Schauplätze, wie sie sich auch in Retrum wiederfinden. Inspiriert wurde er zu der Geschichte durch den Song When We Were Dead seiner Band Nikosia. Musik ist neben seiner Arbeit als Drehbuchautor und Schriftsteller Francescs große Leidenschaft. Seine Romane für Jugendliche und Erwachsene wurden in Spanien mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Retrum, in dem sich viele Parallelen zu Francescs eigener Jugend finden, löste in Spanien einen regelrechten Hype aus.
RETRUM
Christians Leben nimmt durch einen Dummejungenstreich eine traurige Wendung: nach einem Ausflug mit dem „geliehenen“ Motorrad seines Vaters, stirbt sein Zwillingsbruder bei einem Unfall. Die Familie zerbricht an diesem Unglück. Die Mutter macht sowohl dem Vater als auch ihrem zurückgebliebenen Sohn Vorwürfe am Tod Julians und zieht von Spanien weg nach Amerika zu ihrer Schwester. Der Vater schließt sich vor dem Unglück und lebt einfach weiter, indem er nicht mehr darüber spricht. Christian selbst wird zum Einzelgänger, der keinen Spaß mehr am Leben findet und nur das Pflichtprogramm abspult. Er kommt erst wieder aus seinem Schneckenhaus als seine hübsche und sympathische Mitschülerin Alba Interesse an ihm bekundet, doch schon bald entwickelt sich Christians Leben in eine noch ganz andere und von seinem Vater nicht gern gesehene Richtung. Christian verbringt öfter seine Zeit in der Ruhe und Abgeschiedenheit von Friedhöfen und lernt dort die drei Jugendlichen Alexia, Robert und Lorena kennen, die sich selbst „Retrum“ nennen. Sie schminken sich totenblass, verbringen ihre Freizeit auf Friedhöfen und schlafen auf Gräbern. Christian schließt sich der Gruppe an und verliebt sich schon bald in Alexia. Was zunächst zwar befremdlich auf Außenstehende, aber dennoch harmlos anmutet, wird zu tödlichem Ernst, als auf einer Reise zu den berühmtesten Friedhöfen Europas einer aus der Gruppe verschwindet und auch Albas Rolle in Christians Leben ist noch nicht ausgespielt…
Kritik:
Francesc Miralles hat mit „Retrum“ einen atmosphärisch dichten Roman geschrieben, der mit einem flüssigen Schreibstil und einer bildhaften Sprache punktet. Die meisten seiner Charaktere sind detailliert und authentisch gezeichnet, neben Christian hinterlassen auch die anderen Mitglieder von „Retrum“ einen intensiven und realistischen Eindruck beim Leser, aber auch insbesondere Alba und einige Nebenfiguren sind starke Charaktere, die die Handlung nachhaltig prägen und tragen, und überraschen im Laufe der Geschichte durch bestimmte Entwicklungen und Passagen innerhalb des Geschehens.
Auch wenn die erste Hälfte des Buches noch sehr ruhig und spannungsarm ist, so flutschte der Roman bei mir trotzdem wie ein Stück nasse Seife, da der Autor nicht nur einen angenehmen und flüssigen Schreibstil besitzt, sondern sich die vom ihm in die Geschichte eingeflochtenen Zitate von Philosophen, Poeten oder Musikern perfekt in den Handlungsablauf einfügen und so die düstere und besondere Atmosphäre verstärken. Deshalb darf man die Rolle der Friedhöfe innerhalb der Story nicht unter den Tisch fallen lassen. Die ganze Symbiose aus dunkler Musik, düsteren Zitaten, Christians Lebensmüdigkeit und Francesc Miralles Szenekenntnis schwören eindringliche Bilder der beschriebenen Friedhöfe beim Lesen der Geschichte herauf und machen mit den größten Reiz beim Lesen von „Retrum“ aus.
Das Buch ist in fünf Teile untergliedert, die selbst in meistens nur wenige Seiten starke Kapitel unterteilt sind, das führt wie die flüssige Erzählweise des Autors ebenfalls dazu, dass sich die Geschichte im Nu wegliest. Jedes Kapitel hat einen die Handlung aufgreifenden Titel und wird von einem ausgewählten Zitat eingeleitet. Die schwarze Farbe der Seitenschnitte „läuft“ an den Seitenrändern in das Buch hinein.
Nach einem gemächlichen Einstieg, der den Leser fragen lässt, womit „Retrum“ das Prädikat Thriller verdient hat, zieht die Handlung in der späten zweiten Hälfte des Buches mächtig an und nach dem stillen Grusel auf den nächtlichen Friedhofszenen folgen gruseligere Szenen, die nach Zitaten von Musikern und Philosophen nun auf ein bekanntes Werk des Meisters des Horrors Stephen King anspielen. ReTrum, ReDrum…?!!! Auch das Erzähltempo zieht an und die Handlung wird actionreicher und spannungsgeladener.
Nach dieser Passage waren meine anfänglichen Zweifel an der Qualität des Buches beinahe schon ausgemerzt, und ich dachte, wow, jetzt hat Francesc Miralles neben seinen stilistischen Stärken auch zur Stärke im Plot gefunden, doch leider haben mich die letzten Kapitel dann doch ziemlich enttäuscht zurückgelassen. Einige Entwicklungen in der Handlung konnten mich zwar überraschen, doch andere Dinge fand ich recht vorhersehbar. Manches war mir auch einfach zu harmlos oder einfach, nachdem Miralles zwischenzeitlich so stark bei mir gepunktet hat, dachte ich einfach am Ende der Geschichte muss eine viel dramatischere Auflösung stehen. Apropos Auflösung: Retrum ist kein Stand-Alone, es wird eine Fortsetzung geben, nur schafft es Francesc Miralles seine Geschichte nicht so zu erzählen, dass ich am Ende von Retrum die letzte Seite umklappe und auf eine Fortführung der Geschichte giere. Viele Punkte sind geklärt, einige noch offen. Nur das mich die Auflösung der offenen Punkte nicht reizt, mir ist egal, was hinsichtlich dieser Baustellen in der Geschichte noch passiert und damit hat sich „Retrum“ bei mir leider auf der Zielgeraden abhängen lassen. Entweder muss ein Autor den Starter eine Reihe mit einem Cliffhanger enden lassen, oder um die Haupthandlung herum weitere Erzählstränge und Charaktere ins Leben rufen, um das Interesse des Lesers zu schüren, dass Leben der Protagonisten und ihre Abenteuer weiter verfolgen zu wollen. Doch mit dem „Ende“ der Personen, die mir in der Geschichte am Herzen lagen, kann ich leben nachdem ich den Deckel über „Retrum“ zugeklappt habe, und die anderen haben sich mir zu wenig eingeprägt als das ich in deren Leben und in ihre Schicksale tiefer eintauchen muss.
Aufmachung:
Die Recyclingoptik der Klappenbroschur und die schwarze Farbe des Einbandes und der Buchschnitte passen perfekt zur Thematik des Buches. Nur der Schriftzug RETRUM sticht durch Spottlack und der tiefdunklen Lilatönung hervor, die an die Schminke erinnert, mit der sich Christian und die Bleichen in der Geschichte ihre Lippen schminken. Auf dem Cover ist ein Aufkleber mit QR-Code, mit dem man zum Song des Buches gelangt, außerdem gibt es eine Website zum Buch – www.RetrumFans.de – wo man nicht nur eine Leseprobe und Wallpapers zum Buch findet, sondern auch Christians Gedichte aus dem Buch, Alexias Diskografie und sämtliche Zitate.
Fazit:
Ein Buch, welches meiner Meinung eher als Charakterstudie eines Jugendlichen denn als Thriller tituliert werden sollte, denn der spannungsgeladene Part gegen Ende der Handlung reicht nicht aus, um der Geschichte den Thriller-Stempel aufzudrücken. Möglicherweise speziell eine Buchempfehlung für junge Leute aus der Gothszene, aber für mich insbesondere durch das enttäuschende Ende keine Leseempfehlung. Da es der Autor nicht geschafft hat meine Neugierde auf eine Fortsetzung zu wecken, kann ich dem Buch trotz einiger Stärken nur eine mittelmäßige Bewertung geben.