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[INTERVIEW] Buchmesse Frankfurt 2016: Simon van der Geest

Redakteur: Anette Leister

Als Vorbereitung auf die diesjährige Frankfurter Buchmesse und insbesondere auf den Ehrengast „Flandern und die Niederlande“ habe ich einige Titel von Autoren aus dem niederländischen Sprachraum gelesen – und bin auch über die Buchmesse hinaus noch mit einigen Titel beschäftigt, deren Rezensionen nach und nach auf dem Blog folgen werden.

Heute geht es um den Autoren Simon van der Geest, von dem ich „Krasshüpfer“ nicht nur gelesen, sondern auch als Theateradaption im Mainzer Staatstheater gesehen habe, das im Vorfeld der Buchmesse mehrere Stücke niederländischer Autoren im Programm hatte.

Simon: Hast du dir noch mehrere niederländische Stücke angesehen.

Anette: Ich hatte mir nur „Spinnerling“ angesehen.
Ist die Theateradaption des „Spinnerlings“ überall die gleiche? Ich habe nämlich von dem deutschen Autor und Illustrator Martin Baltscheit
gehört, das sein Bilderbuch „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“ von mehreren Theatern unterschiedlich adaptiert wurde.

Ist das in den Niederlanden genauso, gibt es Unterschiede in der Dramaturgie?

Simon: Bei „Spinnerling“ war es so, dass es das erste Theaterstück vor dem Buch gab. Ich habe zuerst das Theaterstück geschrieben und danach habe ich das bearbeitet und noch viel mehr geschrieben, und das ist das Buch geworden. Die Regisseurin des neuen Theaterstücks hat das Buch gelesen und das wieder bearbeitet, daraus wurde das Theaterstück, das du gesehen hast. Es erzählt eine viel größere Geschichte als das erste Theaterstück. Im ersten Theaterstück gab es noch keine Mutter, gab es noch keinen Ward (Anmerkung: der verstorbene, ältere Bruder), gab es nur die beiden Brüder und ihren Krieg und Lieke.

Martin Baltscheit hat das Hörbuch zu „Krasshüpfer“ eingesprochen. Es ist sogar nominiert für einen Preis.

Anette: Hast du Martin Baltscheit schon persönlich kennengelernt?

Simon: Noch nicht.

Anette: Dann hoffe ich, dass sich die Gelegenheit mal ergibt, weil er eine ganz tolle Person ist.

Simon: Er hat das gut gemacht das Hörbuch. Er spricht sehr schnell, aber er macht das sehr gut, auch technisch.

Anette: Svea (Anmerkung: Pressekontakt von Thienemann) hat mir vorhin gezeigt, welches Buch im Frühjahr von dir bei Thienemann erscheint.
Anna Woltz hat mir gestern erzählt,  weil ich gesagt habe, vor der Messe kannte ich kaum niederländische und flämische Autoren, dass kaum deutsche Autoren ins Niederländische übersetzt werden.
Kennst du deutsche Autoren, oder liest du direkt auf Deutsch?

Simon: Nicht so viele… „Emil und die Detektive“, Otfried Preußler, Poznanski habe ich gelesen, Michael Ende. Ende war mein Lieblingsautor als ich jung war. Aber es gibt tatsächlich nicht so viele.

Anette: Mir ist auch aufgefallen, obwohl wir Nachbarländer sind, es werden so viel mehr amerikanische Autoren übersetzt, und was direkt aus dem Nachbarland kommt, dafür muss man tatsächlich erstmal recherchieren.
Anna hat gesagt, dass sie schon 21 Titel geschrieben hat, davon aber erst 3 Stück in Deutschland erschienen sind.
Bist du über das Theater erst zum Roman gekommen?
Simon: Ja. Ich habe mehrere Theaterstücke geschrieben und nach einer Zeit habe ich auch angefangen mit Gedichten.
Anette: Machst du auch Lesereisen und stellst deine Bücher an Schulen vor?
Simon: Ja, ganz viele.
Anette: Welche Reaktion ich bei meiner Tochter interessant fand – sie kennt das Buch nicht, weil ich finde, dass das Buch eher ab einem Alter von 11 oder 12 Jahren zu empfehlen ist -, dass sie merkwürdigerweise den großen Bruder direkt sympathisch fand. Weil ich meinte während dem Theaterstück zu ihr „Findest du ihn böse oder hast du Angst vor ihm?“, und sie erwiderte „Er ist doch überhaupt nicht böse.“ Das sie es im Prinzip schneller erkannt hat als vielleicht ein Erwachsener, welche Probleme er hat, dass er so böse nach außen hin wirkt.
Simon: Schlau.
Anette: Bei der Stelle, die du vorhin bei der Podiumsdiskussion gelesen hast, hat es mich ja etwas geekelt (Anmerkung: Hidde klebt einer Spinne Schmetterlingsflügel an und erschafft damit den Spinnerling). Insekten an sich finde ich nicht gruselig oder eklig, aber ich mag sie nicht in Teilen, also entweder komplett oder gar nicht *lachen beide*
Hast du denn selbst als Jugendlicher solche Experimente gemacht?

Simon: Das haben die meisten Kinder gemacht, sie trauen sich nicht immer davon zu erzählen, aber wenn ich in der Schule danach frage, dann gibt es immer Leute, die Experimente gemacht haben.

Anette: Fliegen fangen und Flügel ausreissen…

Simon: … oder Beinchen und untersuchen was passiert. Ich glaube, das gehört zur Kindheit dazu, dass man solche Sachen ausprobiert. Es ist für Kinder die erste Begegnung mit Tod und Macht.

Anette: Die Macht über andere Lebewesen.

Simon: Über Tod und Leben. Das ist eine wichtige Erfahrung. Es ist nicht so gut für die Insekten, aber ich glaube das muss passieren *lachen beide*

Anette: Aber da Insekten eh nicht sooo lange leben, ob die jetzt zwei Tage oder sieben leben… *lachen wieder*
Der Titel, der jetzt im Frühjahr erscheint, ist das dein zweiter Roman? Erscheint er zeitnah, also kam er auch dieses Jahr erst im Original heraus?

Simon: Es ist mein zweites Buch auf deutsch, aber in den Niederlanden ist es bereits mein fünftes.

Anette: Sind weitere Titel von dir in deutscher Übersetzung geplant?

Simon: Es gibt Pläne, aber ich weiß nicht, was ich davon schon erzählen darf.

Anette: Gibt es einen Titel von dir, von dem du sagst, es liegt dir besonders am Herzen? Wenn dich jemand fragt, welchen Titel von dir soll ich unbedingt lesen? Welches Buch empfiehlst du dann?

Simon: Mein vierter Roman, der ist ab 8 Jahren, und noch nicht auf deutsch erschienen, der ist mir sehr nahe, denn es sind Geschichten von meinem Vater und seinen sieben Geschwistern. Diese Geschichte erzählt vom Bauernhof meines Großvaters, wo mein Vater mit seinen Geschwistern aufgewachsen ist. Ich glaube, ich muss oft was mit Brüdern erzählen.

Anette: Hast du auch Brüder?

Simon: Ja, einen.

Anette: Es ist ja auch sehr schön, wenn man die Familiengeschichte aufbewahren kann. Es ist dann wahrscheinlich ein richtiges Familienprojekt gewesen.
Liegt das in deiner Familie, macht noch einer etwas mit Theater oder schreibt?

Simon: Mein Bruder ist Schauspieler, aber meine Schwester ist bei der Polizei. Mein Vater war Lehrer für Physik und Mathematik und meine Mutter hat kreative Dinge gemacht, aber nicht als Beruf, sondern nur als Zeitvertreib.

Anette: Ihr seit also eine vielseitig interessierte Familie.

Simon: Ja, das kann man so sagen.

Anette: Hast du auf der Messe Zeit dir auch privat etwas anzusehen, zum Beispiel etwas vom Auftritt von den Niederlanden und Flandern, den Ehrengastpavillon?

Simon: Nein, noch gar nichts, ich bin gestern hier angekommen.

Anette: Bist du morgen auch noch da oder fährst du schon früher zurück?

Simon:Nein, morgen bin ich noch im Lesezelt und fahre gegen Abend zurück.

Anette: Erreicht dich Feedback von deinen Lesern?

Simon: Ein bisschen.

Anette: Kommt auch Kritik, negative Meinungen?

Simon: Nicht so viel. Ab und zu.
Oft kommt eine Mail von Kindern, die in der Schule ein Referat halten müssen zu meinem Buch, dann fragen sie nach Informationen.

Anette: Gibt es auch Erwachsene, die zu „Krasshüpfer“ greifen? Es ist ja ein Familienthema, ich finde nicht, dass es nur speziell für Jugendliche ist, gerade für Eltern ist das Thema auch sehr interessant.

Simon: Ich versuche immer, das meine Bücher auch für Erwachsene interessant sind. Ja, es kommen auch von vielen Erwachsenen Reaktionen. Zum Beispiel von Wissenschaftlern, die viel mit Insekten arbeiten. Einer hat geschrieben, er hat das Buch gerne gelesen, aber er fand es schade, dass ich so schlecht über die Schlupfwespen geschrieben habe, weil diese Art eigentlich ganz toll wäre. Er arbeitet viel mit den Schlupfwespen.

Anette: Bekommen deine Familienmitglieder deine Bücher vor der Veröffentlichung zu lesen?

Simon: Ich lasse oft eine Gruppe von Kindeen meine Bücher vorab lesen und bitte sie dann mit Bleistift Sachen anzustreichen, die sie mögen oder die sie nicht gut begreifen. Das brauche ich, das gibt mir sehr viel, weil man beim Schreiben oft denkt, dass die Sachen klar sind, dass jeder sie beim Lesen versteht. Manchmal ändere ich Sachen dann ab.

Anette: Ab welchem Alter ist das Buch, das im Frühjahr bei Thienemann erscheint?

Simon: So ab 9 oder 10. Es ist ein bisschen leichter als „Krasshüpfer“.

Anette: Ich habe mir vom Cover her schon gedacht, dass es für ein jüngeres Publikum ist. Hast du das Cover der deutschen Ausgabe schon gesehen?

Simon: Nein, noch nicht.

Anette: Ich habe es vorhin in der Vorschau ansehen dürfen. Es ist viel kindlicher gestaltet als das von „Krasshüpfer“, freundlicher.

Simon: Es ist leichter, es ist mehr ein Abenteuer.

Anette: Gibt es auch da wieder eine Ich-Perspektive?

Simon: Ja.

Anette: Magst du diese Art des Erzählens vom Theater her lieber?

Simon: Ich weiß nicht warum, es gefällt mir einfach. Ich mag es einfach direkt aus dem Kopf eines Kindes die Perspektive aufzugreifen.

Anette: Gibt es in deinen Büchern Personen, von denen du sagst, ich habe der Person etwas von mir mitgegeben oder von einem Familienmitglied?

Simon: Immer. Bei allen Charakteren, auch bei Jeppe oder der Mutter. Hidde gleicht mehr mir. Aber auch in dem neuen Buch, da ist ein Charakter, der gerne Sachen erfindet, das habe ich als Kind auch sehr viel gemacht, darin kann ich mich auch sehr gut erkennen.

Anette: Was ich ein bisschen schräg fand bei der Theateradaption, es gab nur drei Schauspieler für fünf Rollen, ist das bei der niederländischen Theaterfassung auch so, dass das Stück nur mit drei Schaupielern besetzt ist?

Simon: Unser Theaterstück war ganz anders. Es gab nur Hidde. Den Bruder Jeppe hat man von oben mit seinem Schlagzeug gehört. Wir hatten auch versucht das mit zwei zu machen, weil er im letzten Viertel von der Vorstellung mit seiner Gitarre in den Keller kommt. Aber wenn der Bruder nicht da war, kam er nur in dem Text vor, und das war dann wie ein Monster, weil Hidde nur über ihn erzählt. Das war eigentlich besser. Aber das war eine andere Geschichte mit den selben Charakteren.

Anette: Das war die Fassung vor dem Roman?

Simon: Ja.

Anette: In Mainz war es ja so, dass der Darsteller des Bruders auch die Freundin spielt, das hatte manchmal etwas von Slapstick. Er hat in der Rolle als Lieke einen ganz extremen Dialekt gesprochen. Andererseits hat das auch immer für etwas Aufmunterung gesorgt und die Kinder aus der düsteren Stimmung hochgeholt. Gerade das laute Schlagzeugspiel des Bruders sorgte manchmal für großes Erschrecken im Theater.
Hast du die deutsche Theateradaption gesehen?

Simon: Im letzten Jahr in Mainz.
Das niederländische Theaterstück war mit echten Insekten auf der Bühne. Es gab viel Interaktion mit ihnen. Hidde nimmt eine Stabheuschrecke auf seinen Arm und spielt mit ihr. Und eine Kamera hat dafür gesorgt, dass das groß projiziert wird. Die Gottesanbeterin war fast wie eine Schauspielerin in dem Theaterstück. Und die Szene mit dem Einsiedlerkrebs…

Anette: … da wurde nicht wirklich ein Tier totgetrampelt, weil Jeppe in Mainz ja auf eine Atrappe draufgetreten ist.

Simon: Nein, es stirbt keiner auf der Bühne!
Es war sehr schwierig diese ganzen Insekten mitzunehmen, weil in Holland die Theaterstücke durch das ganze Land reisen. Es ist nicht wie hier, dass es zum Beispiel nur in Mainz spielt. Jeden Tag ist es in einer anderen Stadt. Die Insekten mussten also mitreisen, und das war sehr kompliziert.

Anette: Wie ein Wanderzirkus.

Simon: Ja, es war wie ein Zirkus.

Anette: Das war das, was ich eingangs erwähnt hatte, es gibt Stücke, die in verschiedenen Städten aufgeführt werden, aber immer mit verschiedenen Ensembles, nicht wie bei euch, dass eine Truppe durch das Land zieht und das Stück an verschiedenen Theaterhäusern aufführt.

Simon: Es war sehr wichtig, dass „Krasshüpfer“ zuerst ein Theaterstück war, dass ich das ausprobiert habe für mich, wie das mit den beiden Brüder war und den Insekten. Verschiedene Insekten aus der Vorstellung, die ich noch nicht so gut kannte, sind in das Buch gekommen. Aber auch weil ich die Idee für das Buch hatte, dass es mir helfen würde, wenn ich eine Art Tagebuch davon hätte. Auch, weil ich so gerne ins Theater gehe und direkten Kontakt zu den Schauspielern habe, das ist viel besser als wie beim Film, ich kann die Schauspieler anfassen und riechen, ich kann direkt zu ihnen reden, und ich dachte, wenn ich anfange das Buch zu schreiben, dann möchte ich, dass der Charakter – dieser Hidde – zu seinem Publikum, zum Leser, spricht, wie ein Schaupieler, als wenn du wirklich dabei wärst, dass du fast zurückreden willst. Darum habe ich versucht die Du-Form zu verwenden, dass er direkt zu dir spricht und ab und zu die Reaktionen von den Lesern sagen mir auch, dass das Buch zusammen mit dem Leser funktioniert, dass der Leser mitschuldig wird.

Anette: Weil er alles von Hidde erfahren hat, er war Mitwisser.

Simon: Er wird Mitwisser und Hidde braucht den Leser auch als Unterstützung. Ohne den Leser hätte er sich vielleicht nicht so weit getraut. Darum ist der Leser mitschuldig.

Anette: Hast du von Anna, Edward und Sjoerd schon Bücher gelesen, habt ihr euch vorher schon gekannt?

Simon: Ja. Das sind einige der besten Autoren aus den Niederlanden. Von Anna habe ich noch nicht so viel gelesen, aber von Edward habe ich schon viel gelesen und ich habe auch Unterricht bekommen von ihm. Er hat Jugendpoesie unterrichtet auf meiner Schule.
Das Buch von Sjoerd „Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling“ habe ich gelesen, das neue Buch von Edward noch nicht, aber dafür sehr viele andere. Meine Tochter liest auch gerne Edwards Bücher.

Anette: Magst du auch Comics oder Graphic Novels, da gibt es ja auch eine große Szene bei euch, zumindest in Flandern?

Simon:
Ja, es ist nicht so groß in den Niederlanden, aber in Flandern. Ich mag es sehr gerne. Ich wohne in Haarlem, eine Stadt die ganz bekannt ist
für Comics. Ich habe viele Graphic Novels zuhause.

Anette: Jetzt sind mir nach der Podiumsdiskussion ja doch noch einige Dinge eingefallen, die ich dich fragen konnte.

Simon: Mit jedem Interview entdecke ich auch wieder neue Dinge, weil ich darüber nachdenken muss.

Anette: Vielen Dank für das Interview!

Am Samstag fand auf der Kids Stage eine Podiumsdikussion in zwei Teilen statt.
Hier von links nach rechts im Bild: Ute Wegmann, Simon van der Geest, Andrea Kluitmann und Anna Woltz.
Simon stellte seinen Titel „Krasshüpfer“ vor, Anna ihr Buch „Gips“.

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1 thought on “[INTERVIEW] Buchmesse Frankfurt 2016: Simon van der Geest

  1. sorry, aber was ist das bitte???

    Ich zitiere:
    "Simon: Über Tod und Leben. Das ist eine wichtige Erfahrung. Es ist nicht so gut für die Insekten, aber ich glaube das muss passieren *lachen beide*

    Anette: Aber da Insekten eh nicht sooo lange leben, ob die jetzt zwei Tage oder sieben leben… *lachen wieder*"

    Findet ihr das ernsthaft lustig?! Tiere quälen und dann drüber lachen. Ich dachte echt, ich spinne! Das ist echt das Allerletzte! Auch wenn es "nur" Insekten sind: sie leiden natürlich, wenn man ihnen Flügel ausreißt! Und das sollte bitte niemand abichtlich tun! (und verharmlosen)

    Bitte!!! Danke!

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