Redakteur: Anette Leister
Autor: J. J. Johnson
Übersetzer: Maren Illinger
Verlag: Knesebeck
Reihe: -/-
empfohlenes Lesealter: ab 14 Jahren
Ausführung: Hardcover, 223 Seiten
J. J. Johnson ist in Norwich, New York State (USA) aufgewachsen, wo sie mit dem BMX-Rad fuhr, auf Partys ging, Ballett getanzt, viel gelesen und sich zu viele Sorgen gemacht hat. Nach ihrem Harvard-Abschluss in Erziehung mit Schwerpunkt auf Risikoprävention bei Heranwachsenden beriet sie Jugendliche aus Risikogruppen und betreute für diese spezielle Programme. Ihre Bücher wurden mit Preisen ausgezeichnet und in sechs Sprachen übersetzt. Sie lebt mit Ihrem Mann und ihrem Sohn in Durham, North Carolina (USA).
EVE SIEHT ES ANDERS
Eve wurde ihr ganzes Leben von ihrer Mutter Zuhause unterrichtet. Das letzte Jahr vor dem Abschluss beschließt sie jedoch in der Schule zu verbringen, um ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Kurz bevor die Schule startet lernt sie bereits zwei ihrer zukünftigen Mitschüler kennen: Jacinda und Rajas. Die beiden finden sie mit einem umgeknacksten Knöchel im Wald und verstehen sich auf Anhieb sehr gut. Jacinda kämpft zunächst mit dem Vorurteil, dass ein Mädchen, das ihr ganzes Leben Zuhause unterichtet irgendwie weltfremd und freakig ist, aber Evie hat einen wunderbaren Humor und gewinnt so schnell die Sympathie der beiden. Das heißt… für Rajas empfindet sie schnell mehr als Freundschaft, aber was soll der attraktive und beliebte Schüler an einem durchschnittlichen Mädchen wie ihr finden? Wobei Evie weiß Gott nicht an mangelndem Selbstbewusstsein leidet, aber sie ist eben „eine unholde Maid in Un-Nöten“ wie sie sich selbst bezeichnet und kein It-Girl oder eine attraktive Chearleaderin, wie Jacinda es ist, aber sie kämpft ihrerseits eben auch mit Vorurteilen: das Jungs in erster Linie auf Äußerlichkeiten stehen (was bei Rajas nicht so ist) und Cheerleaderinnen in erster Linie gut aussehen, aber nicht viel im Kopf haben (ein Vorurteil, welchem Jacinda auch so gar nicht entspricht).
„Eve sieht es anders“ ist die Geschichte eines Teenagers, die aus einem Leben ohne Beschränkungen für die Entwicklung ihres Geistes in die beengte Welt eines streng geordneten Schulsystems tritt. Schnell wird sie auf zahlreiche Ungerechtigkeiten aufmerksam. Die Lehrer scheinen unbegrenzte Privilegien zu genießen, wohingegen die Schüler sich an teilweise grundlos auferlegte Regeln zu halten haben. Warum darf man auf dem Schulgelände ein Smartphone mitführen und damit im Internet surfen, aber nicht telefonieren? Warum darf man die Mittagspause nur in der Mensa, aber nicht an der frischen Luft verbringen? Und warum darf man diese Regeln nicht in Frage stellen?
Seither hat sie mich zweimal nachsitzen lassen, beide Male wegen Respektlosigkeit.
Respektlosigkeit. Das perfekte Wort, um Macht zu missbrauchen. Eine Waffe gegen alles, was den Lehrern missfällt. (S.62)
Evie bringt diese Sachen zur Sprache, selbst auf die Gefahr hin, damit ihren guten Abschluss und die gerade erst geschlossenen Freundschaften aufs Spiel zu setzen. Aber so riskant der Einsatz ist, für Eve ist es wichtiger ihre Meinung zu vertreten. Sie ruht sich nicht darauf aus, dass ein anderer für etwaige Verfehlungen gerade stehen müsste, sie spielt keinem etwas vor, auch Freunden sagt sie deutlich die Meinung ins Gesicht.
„Die Hände sind ihnen gebunden. Sie sind gute Menschen, die sich nur an die Regeln halten. Gibt es nicht irgendein Zitat von einem Nazi, der sagt, er habe nur die Befehle ausgeführt?“ (S.70)
Als ob die Figur von Eve nicht schon eindeutig genug wäre, um dem Leser vor Augen zu führen, wie wichtig es ist „seinen eigenen Kopf zu haben“ und seine Meinung auch in den schwierigsten Situationen mit Rückrat zu vertreten, sind die Kapitel von Zitaten eingeleitet, bei denen ich am liebsten alle abgetippt hätte, weil die Aussagen so wichtig sind und Evies Persönlichkeit noch besser hervorheben als es alle Worte können, die ich sie ihrer Figur finden könnte, zudem reflektieren sie sehr gut den Inhalt der Geschichte.
Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit.
Henry David Thoreau (S.48)
Das Buch ist für mich kein reines Jugendbuch, es behandelt Themen, mit denen man sich auch als Erwachsener auseinandersetzen und die man regelmäßig hinterfragen sollte. Keine Regel sollte ohne Reflektion blind befolgt werden, weder junges Alter oder egal welche Art von Untergeordnetsein (Kind < Eltern, Schüler < Lehrer) ist eine Entschuldigung dafür, wenn man die Regeln anderer befolgt und sich dies im Nachhinein als Fehler herausstellt. Aber so stark und intelligent Eve auch ist… selbst sie lernt am Ende der Geschichte etwas Wichtiges, dessen sie sich die ganzen Jahre nicht bewusst war.
Eve ist eine beeindruckende Figur, von der sich viele Menschen eine Scheibe abschneiden könnten, ein Charakter der viel hinterfragt und diskutiert, und auch, wenn sie selbst nicht immer vorurteilsfrei ist, ihre Fehler eingestehen kann und im kleinen Finger mehr Toleranz und Akzeptanz besitzt als viele Menschen in ihrer ganzen Person.
Leute, benutzt euren Kopf! Hinterfragt, steht zu eurer Meinung, seid gerecht!