Redakteur: Anette Leister
Autor: Tania Witte
Verlag: Arena
Reihe: -/-
empfohlenes Lesealter: ab 14 Jahren
Ausführung: Hardcover, 296 Seiten
Sie erhielt Stipendien in den USA, den Niederlanden und Deutschland, wurde 2018 mit einem Literaturstipendium des Landes Niedersachsen und 2017 mit dem Martha-Saalfeld-Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet; im Jahr zuvor erhielt ihre Kolumne im ZEITmagazin den Felix-Rexhausen-Sonderpreis. Außerdem ist Tania Witte Teil diverser interdisziplinärer Kunstkooperationen und leidenschaftliche Spoken-Word-Performerin.
Nach drei allgemeinliterarischen Romanen (2011, 2012, 2014), einer Anthologie und diversen Kurzgeschichten und Essays erscheint im Frühjahr 2019 ihr Jugendbuch „Die Stille zwischen den Sekunden“.
DIE STILLE ZWISCHEN DEN SEKUNDEN
Mara und ihre Freundin Sirîn haben sich wie jeden zweiten Mittwoch an der Halfpipe zum Skaten getroffen. Da Sirîns kurdische Eltern zwar sympathisch, aber streng sind, muss für den Halfpipe-Mittwoch Maras und Sirîns Kochblog als Ausrede herhalten, für den die beiden tatsächlich nur jeden zweiten Mittwoch kochen.
An diesem Mittwoch fliegt das Alibi der beiden jedoch auf und Maras Leben wird auf den Kopf gestellt. Nur um Haaresbreite verpasst Mara die U-Bahn nach Hause und muss zu ihrem Entsetzen am späteren Abend feststellen, dass sie dadurch nur knapp einem Bombenattentat entgangen ist. Dummerweise hat ihre Mutter aus Angst die Ausrede von Mara und Sirîn auffliegen lassen und Sirîns Eltern darüber in Kenntnis gesetzt, dass Sirîn den Abend nicht in der Wohnung von Mara beim gemeinsamen Kochen verbracht hat.
So ist es kaum verwunderlich, dass Mara am nächsten Morgen in der Schule nicht auf Sirîn trifft. Sirîn hat nicht nur Hausarrest auferlegt bekommen, ihr Vater hat auch Laptop und Smartphone einkassiert. Manchmal schafft Sirîn es jedoch ihr Smartphone heimlich zu benutzen und tauscht sich mit Mara per WhatsApp aus.
In den nächsten Tagen versucht Mara über Sirîns Eltern und ihren Bruder Kontakt zu Sirîn aufzunehmen, doch Sirîns Familie verhält sich zunehmend abweisend ihr gegenüber und Mara versteht die Welt nicht mehr. Zwar kennt Mara die Geschichte der Flucht von Sirîns Familie und dem Tod ihrer älteren Schwester im Krieg, aber deswegen können ihre Eltern Sirîn doch nun nicht wochenlang wegsperren und ihr jeglichen Kontakt untersagen?
Zwischenzeitlich verstärkt sich der Kontakt zwischen Mara und ihrem heimlichen Schwarm Chriso, der kurz vor dem Attentat angeblich am Bahnsteig gegenüber gewartet hat. Allerdings findet Mara es unvorstellbar, dass Chriso das Geschehen nicht gefilmt hat, um seinen YouTube Kanal weiter voran zu bringen, schließlich schlachtet er dort sonst jeden Skandal aus, um neue Follower zu gewinnen.
Maras Erinnerung daran, dass sie dem Bombenattentat nur knapp entgangen ist, quält sie. Immer wieder hat sie die Gesichter der Passagiere vor Augen, die sie durch die geschlossene Tür der U-Bahn gesehen hat. Dennoch zeigt sie nicht das Maß an Betroffenheit, dass ihre Umgebung von ihr erwartet, denn noch mehr Kummer macht ihr, dass sie Sirîn nicht mehr sehen darf…
Mit Mara, Sirîn und Chriso hat Tania Witte authentische jugendliche Charaktere erschaffen.
Mara ist ein nettes, aber zurückhaltendes Mädchen, das nur wenige enge Freunde hat. Die Kurdin Sirîn hat sie zufällig über einen Kochkurs kennengelernt. Seitdem sind die beiden unzertrennlich und neben ihren wöchentlichen Treffen und der gemeinsamen Zeit in der Schule tauschen sie sich regelmäßig über WhatsApp Nachrichten aus, was Tania Witte geschickt in die Storyline eingebunden hat.
Chriso ist Maras heimlicher Schwarm. Ein gutaussehender Junge, der jedes Mädchen zur Freundin haben könnte. Zudem ist er erfolgreicher YouTuber und weckt damit widersprüchliche Gefühle in Mara, die seinen Kanal zwar insgeheim regelmäßig verfolgt, aber teilweise von seinen Videos abgestoßen wird. Deswegen kann sie es sich nicht erklären, warum er kein Video vom Abend der Katastrophe hochgeladen hat, da ein solcher Clip zu seinem Kanal passen und ihm neue Follower einbringen würde.
Neben Mara, Sirîn und Chriso spielen vor allem Maras Mutter, sowie Sirîns Vater und Bruder eine große Rolle. Maras Verhalten wirkt oft unsympathisch und kalt, da sie ihr Umfeld häufig vor den Kopf stößt, nachdem sie dem Bombenattentat nur knapp entgangen ist. Es ist verständlich, dass sie Probleme hat mit den Bildern dieses Abends fertig zu werden, andererseits ist es unverständlich, dass sie offen dargebotene Hilfe wie beispielsweise die ihrer Mutter vehement abweist.
Noch unverständlicher, beinahe schon unheimlich, sind die Reaktionen von Sirîns Familie auf Maras Kontaktversuche. Hier malt man sich als Leser die schrecklichsten Szenarien aus, worin die Ungereimtheiten im Verhalten von Sirîns Familie begründet sind…
Ich bin dank Tania Wittes Gemeinschaftswerk mit Antje Wagner als Ella Blix und mehreren Titeln Antje Wagners gebrieft, was überraschende Wendungen in Büchern angeht, so dass sich in meinem Kopf die verrücktesten Lösungen zusammengesponnen haben, warum sich die Charaktere in „Die Stille zwischen den Sekunden“ so verhalten, wie sie es tun. Tatsächlich war darunter auch die Auflösung, dennoch hat mich das Ende der Geschichte von den Füßen gerissen!
Die Geschichte ist sehr starker Stoff, der stets am Puls der Zeit ist. Sei es durch die Authentizität der Charaktere, der Einbindung der Sozialen Medien oder den aktuellen Problemen und Entwicklungen in unserem Land.
Maras Geschichte ist vielschichtig. Sie zwingt den Leser sich mit solchen Themen wie der Flüchtlingspolitik oder dem Einsatz – und Missbrauch – der Sozialen Medien auseinanderzusetzen. Kernthema ist jedoch ein anderes, wie spätestens mit der Auflösung klar wird. Dieses werde ich jedoch bewusst nicht benennen, damit andere Leser sich dem gleichen unausweichlichen Sog ausgesetzt sehen, den ich bei diesem Buch verspürt habe.
Lange braucht es nicht, bis man zum Kern dieser Geschichte vordringt, denn es wird wohl kaum einem Leser möglich sein, sie einmal angefangen freiwillig aus der Hand zu legen. Das Ende tut weh und ist nur schwer zu begreifen. Selbst mit einer Ahnung bezüglich der Auflösung ist es schockierend und hallt lange und schwer nach.
„Die Stille zwischen den Sekunden“ ist ein ganz besonderes Jugendbuch, das noch weit mehr bietet als es der ansprechende Klappentext verspricht.
Darüber hinaus ist es mitnichten nur für ein Lesepublikum im Alter der Protagonistin interessant. Die verarbeiteten Themen sind hochaktuell und fordern selbst erwachsene Leser heraus.
Ich für meinen Teil weiß, dass ich dieses Buch mit dem Wissen um das Ende irgendwann ein zweites Mal lesen muss, um die Raffinesse von Tania Wittes Komposition voll auszukosten!
Obendrein erhält dieses Buch von mir eine absolute Empfehlung als Schullektüre. Nicht nur, dass hier wichtige und aktuelle Themen verarbeitet werden, ich bin mir außerdem sicher, dass Tania Wittes jugendlich authentischer Schreibstil, der Einsatz der Sozialen Medien, sowie der unwiderstehliche Sog der Geschichte selbst Wenigleser an die Seiten bannen und überzeugen kann.
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