Redakteur: Anette Leister
Der Bilderbuchkünstler Jimmy Liao war auf Leserunde in Deutschland und der Schweiz und ich hatte vor seiner Veranstaltung in Frankfurt die Gelegenheit ihm ein paar Fragen zu stellen.
Elisabeth Wolf, die Verlegerin von chinabooks, hat das Gespräch von deutsch in chinesisch, und umgekehrt, übersetzt.
Gibt es ein Buch von Ihnen, an dem Ihr Herz ganz besonders hängt?
Ich möchte zwei Titel nennen, die beide auf deutsch vorliegen. „Die Sternennacht“, hier gefällt mir die Geschichte besonders gut, und „Der Klang der Farben“, dies halte ich für eins meiner wichtigsten Werke.
(Anmerkung: Auf der späteren Autoren- und Buchvorstellung in der Frankfurter Buchhandlung Weltenleser erzählte Jimmy Liao ausführlicher über die Entstehung dieser beiden Werke.
Besonders die Geschichte zu „Der Klang der Farben“ ist berührend. Dieses Buch entstand fünf Jahre nach seiner Blutkrebserkrankung und er hatte währenddessen große Angst erneut an Krebs zu erkranken, da es heißt, wenn man fünf Jahre frei von Symptomen ist, ist es wahrscheinlicher, dass der Krebs nicht mehr zurückkehrt.
Aber auch der Hintergrund von „Die Sternennacht“ ist beeindruckend und nachdrücklich. Jimmy Liao befand sich während des Entstehungsprozesses in einer Schaffenskrise. Er meinte, anscheinend hätte er alle seine guten Ideen schon zu Papier gebracht. „Die Sternennacht“ vermittelt die Botschaft, dass es überall, wo es Schatten gibt, auch Licht geben muss, und dass wir uns nie aufgeben dürfen.)
Woher holen Sie sich die Inspiration für Ihre Geschichten?
Mir kommen zuerst Bilder im Kopf, ich liebe Bilder, ich muss sie unbedingt gleich malen.
Erst danach sehe ich mir die Bilder an und überlege, ob ich sie irgendwie zu einer Geschichte verbinden kann.
Ich sitze an jedem meiner Bücher sehr lange, manchmal viele Jahre. In dem Zeitraum können Filme, die ich in der Zeit sehe, Musik, die ich höre, Nachrichten, die ich aufschnappe oder Dinge, die ich selbst erlebe, der Nährstoff für meine Geschichten sein.
Funktionieren Ihre Geschichten unabhängig von religiösen oder kulturellen Hintergründen?
Falls ja, haben Sie die Geschichten absichtlich so konzipiert?
Ich glaube, das meine Geschichten universal sind und Menschen aus ganz verschiedenen Ländern berühren können. Ich denke, dass sie in über zwanzig Sprachen verkauft und übersetzt wurden ist ein Beweis dafür.
Es ist absichtlich so angelegt, dass man an den Bildern und den Geschichten nicht erkennen kann, wo die Geschichten spielen oder welcher Nationalität die Figuren angehören. Ich denke, das hilft, dass meine Geschichten universaler sind.
Welche Möglichkeiten bieten Bilder und Illustrationen, die Sie im geschriebenen Wort nicht sehen?
Bilder und Illustrationen können Gefühle und Informationen auf einen Blick transportieren, gleich auf der Stelle hat man einen Eindruck, bei einem langen Text dauert es zum einen länger, bis man ihn aufgenommen hat und zum anderen kann man durch Bilder Inhalte kulturunabhängig transportieren. Bei einem Text fließen so viele Lebensumstände, kulturelle oder geschichtliche Hintergründe mit hinein, damit ist er weniger universal als es ein Bild sein kann.
Sind Bilderbücher für Erwachsene im asiatischen Sprachraum sehr verbreitet?
Ich mache nun seit zwanzig Jahren Bilderbücher für Erwachsene. In Taiwan ist es mittlerweile breit akzeptiert, dass auch Erwachsene Bilderbücher lesen und auch in anderen asiatischen Ländern ist das kein Problem mehr.
In Asien gibt es nicht diese strenge Abgrenzung zwischen Erwachsenenliteratur und Kinder- und Jugendliteratur. In Asien greifen sogar sehr viele Erwachsene zu Kinder- und Jugendbüchern und Bilderbüchern,
Haben Sie als Kind viel gelesen?
Als ich aufgewachsen bin in Taiwan gab es noch keine Kinderbücher und Bilderbücher. Die ersten Bilderbücher habe ich mir gekauft, als ich schon über zwanzig Jahre alt war.
Ende Zwanzig, Anfang Dreißig habe ich eine Reise nach Japan gemacht und dort habe ich zum ersten Mal ein Bilderbuch gesehen für Kinder. Vorher war mir gar nicht bewusst, dass es so etwas Wunderbares gibt. Ich habe es sofort gekauft und mit nach Hause genommen.
Taiwan ist heute hoch technologisiert und entwickelt und reich, aber vor fünfzig Jahren war Taiwan noch ein ganz armes und rückständiges Entwicklungsland. Wahrscheinlich gab es einfach kein Geld, um den Kindern so etwas wie Bilderbücher zu kaufen. Es hat erst vor etwa dreißig Jahren angefangen, dass Bilderbücher oder Kinderbücher in Taiwan aufgekommen sind.
Haben Sie Lieblingskünstler unter Autoren und Illustratoren? Oder Lieblingsfilme?
Da gibt es wahnsinnig viele, sowohl beim Film als auch bei Bildender Kunst. In Köln war ich im Kunstmuseum, es hat mich sehr berührt, dass ich die Originalkunstwerke gesehen habe, die ich zuhause in Form von Bildbänden besitze.
Elisabeth Wolf: Jede freie Minute, die wir nicht mit Interviews oder Buchvorstellungen verbringen, geht Jimmy Liao ins Museum.
Es ist anstrengend nach Europa zu reisen, aber wenn ich diese wundervollen Museen besuchen kann, ist es jede Anstrengung wert.
Ich will noch eine Sache erzählen, die zu Ihrer letzten Interviewfrage passt. Wir waren gestern in Köln und wurden interviewt von einer Journalistin von der Deutschen Welle. Mir wurde die Frage gestellt, ob es irgendwelche deutschen Künstler oder Illustratoren gibt, die mir gefallen. Ich habe gesagt, ich liebe so viele westliche Illustratoren, aber ich kann an ihren Namen nicht erkennen, ob es Deutsche, Italiener, Franzosen, Spanier oder Russen sind. Irgendwie kam Michael Sowa auf und die Journalistin hat mit bestätigt, dass Michael Sowa Deutscher ist und in Berlin wohnt, und dass sie ihn kennt. Ich war begeistert und habe gesagt, wir müssen nach Berlin fahren und Michael Sowa treffen. Aber leider meinte mein Assistent, dass das nicht mehr in die Reiseplanung passt. Deswegen habe ich eins meiner Bücher genommen und für Michael Sowa signiert und die Journalisten gebeten, es ihm zu überbringen.
Einige Stunden nach dem Interview war ich noch auf der Autoren- und Buchvorstellung in der Frankfurter Buchhandlung Weltenleser zugegen.
Neben Jimmy Liaos Lebensgeschichte, die sehr bewegend ist, da er durch eine schwere Leukämieerkrankung zum Schreiben und Illustrieren kam, wurden die bislang vier Titel näher vorgestellt, die Elisabeth Wolf in ihrem Verlag Chinabooks herausgebracht hat:
Das Kino des Lebens
Der blaue Stein
Der Klang der Farben
Die Sternennacht
Außerdem hatte Jimmy Liao gemeinsam mit seinem Assistenten eine Präsentation vorbereitet, bei der die Anwesenden einige seiner frühen Illustrationen zu sehen bekamen, sowie Bilder aus aktuelleren Titeln, die bislang jedoch nicht im deutschen Sprachraum erschienen sind. Hier würde ich mir vor allen Dingen eine Übersetzung von „The Hug“ und „When the Moon forgot“ wünschen.
Sehr häufig hört man, dass Jimmy Liaos Bücher Menschen durch schwere Episoden ihres Lebens begleiten, dies wurde mehrfach von Besuchern der Veranstaltung bestätigt.
In seinem Heimatland Taiwan ist Jimmy Liao mittlerweile ein richtiger Star. Es existiert sogar ein Park mit Skulpturen seiner Figuren und eine U-Bahn-Station, die mit Bildern aus seinem Werk „Der Klang der Farben“ großflächig bemalt wurde. Einige seiner Bücher wurden verfilmt. Darunter auch „Turn left, turn right“, welches vor zehn Jahren in Deutschland unter dem Titel „Die Ballade von der großen Liebe“ erschienen ist. Leider konnte der Titel im deutschen Sprachraum nicht an die Erfolge aus anderen Ländern anknüpfen.
Jimmy Liao illustriert neben seinen eigenen Werken, die er bislang ausschließlich für Erwachsene geschrieben hat, auch Kinderbücher von anderen Autoren.
Die Veranstaltung hat mich sehr beeindruckt und gefesselt. Nicht zuletzt deshalb, weil Jimmy Liao trotz seines Erfolgs so bodenständig geblieben ist. Er ermittelt den Eindruck eines höchst sympathischen und empathischen Menschen, der mit Herz und Disziplin seine Berufung verfolgt, die ihn erst recht spät und infolge eines schweren Schicksalsschlag ereilt hat.
Mein Dank und meine Bewunderung gilt auch der Verlegerin des Chinabooks Verlag Elisabeth Wolf, die meine Fragen an Jimmy Liao übersetzt hat und die mittlerweile vier Titel diesen Ausnahmekünstlers in den deutschsprachigen Raum geholt hat, in der Hoffnung, dass noch viele weitere seiner bereits erschienenen Titel folgen werden.
Danke – 谢谢
Hallo liebe Anette,
Danke für das geführte Interview und das Übersetzung ins Deutsche von Elisabeth Wolf.
Nun in meiner Jugend gab es auch nicht so viele Kinderbücher. Das hat auch seine Zeit gedauert genau wie in Taiwan auch…
LG..Karin…
Sehr gerne, es war eine so tolle Veranstaltung!
Ja… in den letzten paar Jahrzehnten hat sich da allgemein viel gewandelt, dennoch war es bei uns wohl nie so extrem, ich z.B. hatte zwar als Kind kaum eigene Bücher, aber eine Bücherei vor Ort, in der ich immer ausgeliehen habe, wenn mir der Lesestoff ausging, und die war auch früher schon gut mit Bilderbüchern bestückt.
LG Anette
Liebe Anette,
auf dieses Interview habe ich gewartet und dann letztendlich doch verpasst, als du es gepostet hast. Gerade eben fiel es mir wieder ein. :-)
Frau Wolf hatte mir mitgeteilt, dass noch eine Bloggerin den Künster in Frankfurt interviewen wird und nannte mir auf Anfrage deinen Blog. Sehr schön, dass auch dich die Bücher von Jimmy Liao so begeistern. Mein Interview fand in der Buchhandlung Weltenwanderer statt. Leider konnte ich nicht mehr bleiben, um die Lesung zu genießen. Umso interessanter war jetzt für mich dein Beitrag hier.
Ich habe dein Interview bei mir verlinkt, da es eine schöne Ergänzung zu meinem ist.
GlG, monerl